Ein AKP-Gesetzentwurf will der „ausländischen Desinformation“ den Kampf erklären. Damit werden Desinformationen der Regierungsseite etabliert.
Laut der halbstaatlichen Nachrichtenagentur Anadolu bereitet der AKP-Abgeordnete Metin Külünk einen Gesetzentwurf zum „Kampf gegen ausländische Propaganda und Desinformation“ vor. Der Vorlage zufolge sollen betroffene Stellen wie Geheimdienst, Außen- und Verteidigungsministerium eine Kommission bilden, um „nicht der Wahrheit entsprechende, die Interessen der nationalen Sicherheit der Türkei bedrohenden Berichte im Ausland“ zu verfolgen und zu bekämpfen.
Der Titel der Vorlage mag neu sein, Methode und Urheber sind es nicht. Im Dezember 2016 war herausgekommen, dass die dem Amt des Ministerpräsidenten unterstellte Religionsbehörde Diyanet an türkische Imame in 38 Ländern Weisungen geschickt und nachrichtendienstliche Informationen gesammelt hatte.
Der Bericht enthielt Fotos von Personen innerhalb der Gemeinden, denen Nähe zu Fethullah Gülen unterstellt wird, sowie Einzelheiten über die Häufigkeit ihrer Gebetsteilnahme und zu ihren kommerziellen Tätigkeiten außerhalb der Moschee. Auf diesen Skandal hin war der Vorsitzende der Diyanet-Stiftung in Holland, Yusuf Acar, in die Türkei zurückgerufen worden. In Deutschland wurden Ermittlungen gegen die DITIB eingeleitet.
Monate vor dem DITIB-Skandal hatte im August 2016 eine andere dem Amt des Ministerpräsidenten unterstellte Institution, das „Generaldirektorat Presse Publikation Information“ (BYEGM), untersucht, wie Fethullah Gülen in Tausenden Berichten in der ausländischen Presse dargestellt wird. Die Studie tadelte Berichte, die Gülen als „Prediger“ und „Erdoğans ehemaligen Verbündeten“ darstellten, und kritisierte, dass er nicht als „terroristischer Rädelsführer“ und die Bewegung nicht als „Fethullah-Gülen-Terror-Organisation“ bezeichnet wurde.
Im April 2016 hatte das türkische Konsulat in Rotterdam türkische Vereine in den Niederlanden per Mail dazu aufgefordert, Erdoğan-Beleidiger zu melden. Zwar behauptete das Konsulat später, die Aufforderung hätte zu Missverständnissen geführt, doch nur drei Tage darauf wurde die niederländische Kolumnistin Ebru Umar, die Erdoğan kritisiert hatte, während ihres Türkei-Urlaubs festgenommen.
Der Vorwurf an die ausländische Presse lautete also, sie halte sich nicht an die Sprachregelung der Regierung. Dieselbe Geisteshaltung herrscht im „Amt für Pressewerbung“ (BIK), das für die Verteilung staatlicher Werbeanzeigen verantwortlich ist – eine der Haupteinnahmequellen für die Lokalpresse in der Türkei. Eine Neuregelung in einer Direktive des BIK nach dem Putschversuch verwehrt gleich allen Zeitungen, gegen die mit dem Vorwurf „Terrorismuspropaganda“ ein Verfahren läuft, das Recht, Anzeigen zu drucken.
Der Gesetzentwurf ist per se ein doublethink. Hinter der Formulierung „Kampf gegen ausländische Propaganda und Desinformation“ steckt vielmehr die Absicht, Desinformationen der Regierungsseite zu etablieren und dafür zu sorgen, dass ausländische Quellen die Regierungspropaganda nicht konterkarieren. Das hatte der Abgeordnete Külünk, Urheber der Vorlage, bereits 2014 angestoßen.
Am 17. Dezember 2013 waren bei Razzien wegen der Korruptionsaffäre in Häusern regierungsnaher Geschäftsleute mehrere Millionen US-Dollar Schwarzgeld gefunden und 26 Personen verhaftet worden, darunter die Söhne von drei Ministern. Besondere Aufmerksamkeit erregten Gespräche zwischen dem damaligen Premier Erdoğan und seinem Sohn Bilal zum Thema „Beseitigung“. In den Mitschnitten von fünf Gesprächen seit dem Morgen des 17. Dezember gab Erdoğan Anweisung, zu Hause aufbewahrte Gelder auf andere Orte zu verteilen und so beiseite zu schaffen.
Erdoğan behauptete, die Mitschnitte seien montierte und synchronisierte Fälschungen, doch zahlreiche Tontechniker dementierten, dass die Bänder manipuliert worden seien. In der regierungsnahen Presse stand damals vielfach der Vorwurf, die Bänder seien gefälscht.
Das durch RedHack an die Öffentlichkeit gebrachte E-Mail-Archiv von Energieminister Berat Albayrak enthält Informationen, dass hinter diesen Behauptungen Metin Külünk steckte, der in der AKP stellvertretend für Außenbeziehungen zuständig ist. Külünk hatte bei zwei gewöhnlichen Tonstudios in New York schriftliche Bewertungen der Bänder einholen lassen und diese an Berat Albayrak geschickt, der zu dieser Zeit der regierungsnahen Sabah-ATV-Gruppe vorstand.
Diese Bewertungen wurden in der regierungsnahen Presse als sogenanntes Gerichtsgutachten „weltberühmter“ Tontechniker lanciert. Der Desinformationstext, den Külünk Albayrak übermittelte, wurde von der Zeitung Sabah als Bericht gedruckt, ohne auch nur die Rechtschreibfehler darin zu korrigieren.
Als der Fall in den USA bekannt wurde, erklärten die Tonstudios und ihre Angestellten, sie seien keine Gerichtsgutachter. Außerdem seien sie von der Person, die die Mitschnitten hatte untersuchen lassen, getäuscht worden. Bei der Person, die am 26. Februar 2014 die schriftlichen Bewertungen von den Studios eingeholt und an Metin Külünk weitergeleitet hatte, handelt es sich um Murat Berk, den Vorsitzenden der „Turkish American Cultural Society“ (TASC), einer Lobbygruppe türkischer Migranten in den USA.
Auf Anfrage teilte Murat Berk mit, die Bewertungen der Mitschnitte als gewöhnlicher Bürger eingeholt zu haben. Allerdings bekleidet er seit 2014 den Posten des AKP-Auslandswahlkoordinators USA.
In den Folgewochen wurden seriöse Gerichtsgutachten veröffentlicht, die verneinten, dass es sich bei den Mitschnitten um Montagen handele. Solange der Geheimdienst, der die Bänder konfisziert hat, diese nicht preisgibt, verfolgen die Berater der AKP weiterhin die Strategie, die Mitschnitte als Montagen zu propagieren. Regierungsnahe Medien verbreiten ihre Version. Auf diese Weise verlieren die in der Korruptionsaffäre als Beweismittel angeführten Mitschnitte ihre Wirksamkeit.
Es erscheint wie ein Witz, dass derselbe Külünk, der gefakte Stellungnahmen für eine Presse einholt, die zu einem großen Teil Albayrak gehört, sich für ein Gesetz im „Kampf gegen Falschmeldungen“ einsetzt und zum Minister erhoben wird. Aber die Geschichte ist wahr, genauso wie das Propagandaministerium, das Journalist*innen verhaften lässt, die echte Nachrichten produzieren.
Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe.