Das kurdische Frühjahrsfest steht für die Auflehnung gegen Tyrannei. Dieses Jahr sind die Feiern geradezu von existenzieller Bedeutung.
Newroz war schon immer ein denkwürdiges Ereignis in der Südosttürkei – sei es in kultureller, oder in politischer Hinsicht. In diesem Jahr aber ist es geradezu von existenzieller Bedeutung, dass das kurdische Neujahrsfest öffentlich gefeiert werden darf.
So betonte der HDP-Abgeordnete Osman Baydemir kürzlich in Diyarbakır mit Nachdruck: „Versucht nicht das Feuer von Newroz zu löschen. Das Licht des Newroz-Feuers erhellt die Dunkelheit. Wir fordern, dass keine Veranstaltung verboten wird.“
In 33 Orten wurde Festivitäten beantragt, die am 17. März in Nusaybin beginnen und am 21. März ihren Abschluss in Diyarbakır und Van haben sollen. Doch erst vergangene Woche wurde der Ausnahmezustand in der Türkei um weitere drei Monate verlängert und das ist keine gute Nachricht.
Sehr wahrscheinlich wird dies nämlich als Vorwand genommen, die Newroz-Feiern zu untersagen, wo doch während des Ausnahmezustands selbst Pressekundgebungen auf öffentlichen Plätzen verboten sind. Doch auch in Vergangenheit ist es selten einfach gewesen, dieses Frühjahrsfest gebührend zu feiern, das auf dem Mythos einer Volksauflehnung beruht.
Legenden aus der Zeit des Reichs der Meder zufolge, wuchsen dem tyrannischen Herrscher Dehak zwei Schlangen aus der Schulter, die täglich mit den Gehirnen von zwei kurdischen Kindern gefüttert wurden. Der Schmied Kawa organisierte den Widerstand gegen den Drachenkönig Dehak.
Kawa, der sich mit den Widerständigen in den Bergen versteckte, kam eines Tages mit Fackeln von den Bergen hinunter und schlug dem Tyrannen den Kopf ab. Newroz, der Tag, der den Frühlingsanfang markiert, wurde dem Widerstand gegen einen Tyrannen zugeschrieben. Seither wird in der kurdischen Kultur Newroz mit Feuern gefeiert, die in den Bergen angezündet werden. Um sie herum versammlen sich die Feiernden.
Politisiert wurde der Feiertag in den Achtzigerjahren, nachdem es in Folge des Putsches am 12. September 1980 zur systematischen Folter gegen Kurden, vor allem politische Häftlinge, in Gefängnissen kam. 34 Menschen starben, hunderte trugen lebenslange Behinderungen davon. Die bewaffnete kurdische Arbeiterpartei PKK kündigte Widerstand an.
1982 hat der inhaftierte hochrangige PKK-Kader Mazlum Doğan aus Protest gegen die Haftbedingungen am 21. März – dem Newroz-Feiertag – seine Zelle angezündet und sich erhängt. Mazlum, der zum zeitgenössischen Kawa deklariert wurde, trug zur neuen Politisierung von Newroz bei, das seither auch allen voran von der PKK als Fest des Widerstands gefeiert wird.
Nach dem Ende der Militärregierung wurde in den mehrheitlich von der kurdischen Bevölkerung bewohnten Provinzen von 1987 bis 2002, also ganze 15 Jahre lang der Ausnahmezustand verhängt. Trotz zahlreicher Verbote wurden in Diyarbakır auf den Straßen Feiern veranstaltet, die von der Polizei blutig zerschlagen wurden.
1992 wurde in Cizre während des Frühjahrsfestes gar das Feuer auf Zivilisten eröffnet. Offiziellen Angaben zufolge sind dabei 57 Menschen getötet worden, darunter auch der Journalist Izzet Keser, der eine weiße Fahne bei sich getragen hatte.
Mit der friedlichen Stimmung der 2000er Jahre hat sich Newroz schließlich doch zu einer offiziellen und genehmigten Feierlichkeit entwickelt. Tausende von Teilnehmer*innen versammelten sich in ihren traditionellen Gewändern um ein riesiges Feuer am Messegelände, das sich zwölf Kilometer außerhalb des Stadtzentrums von Diyarbakır befand.
Jedes Jahr kamen Gäste aus Europa und Südkurdistan angereist, um den Amed Newroz (Amed ist der kurdische Name der Stadt Diyarbakır, Anm. d. Red.) zu feiern. Prominente Musiker wie Sezen Aksu, Ciwan Haco, İbrahim Tatlıses und Mahsun Kırmızıgül traten auf.
Mit der Eröffnung des 36.000 Quadratmeter großen Newroz Parks versammelten sich ab 2009 jährlich über eine Million Menschen, um gemeinsam und friedlich das Fest des Widerstands zu feiern. Doch militärische und politische Operationen, die als Strategie zur Lösung des Kurdenkonflikts angeführt wurden, führten schon 2012 wieder dazu, dass die Feiern untersagt wurden.
Die Veranstaltung, die in Diyarbakır für den Sonntag vor dem eigentlichen Feiertag geplant war, wurde von der Stadtverwaltung mit der Begründung abegelehnt, das Datum stimme nicht mit dem Newroz überein. Dabei wurde schon in den vorigen Jahren stets an einem Wochenende im Voraus gefeiert, falls der Feiertag auf einen Werktag fiel.
Mit dem Verbot durch die Stadtverwaltung, gab es auch keine kostenlosen Shuttle-Busse, die die Teilnehmer*innen normalerweise zur Location fuhren. Alle Straßen, die zum Gelände des Newroz Parks führten, wurde von Panzern und Barrikaden blockiert. Teilnehmer*innen, die trotzdem versuchten zum Gelände zu gelangen, mussten sich an Wasserwerfern und Tränengas vorbeikämpfen. Einigen gelang es, so dass die Feierlichkeiten in kleinem Rahmen stattfinden konnten.
Doch im nächsten Jahr schon gab es politisch gesehen eine historische Entwicklung anlässlich des Newroz. Die HDP-Abgeordneten Pervin Buldan ve Sırrı Süreyya Önder verlasen ein Brief des inhaftierten PKK-Anführers Abdullah Öcalan, in dem dieser zum Waffenstillstand aufforderte. Dieses Friedensmanifest wurde in allen politischen Lagern der Türkei positiv angenommen und zwei Jahre lang erlebte man eine so friedliche Atmosphäre wie vielleicht nie zuvor.
Leider wurde der Friedensprozess zwischen PKK und der türkischen Regierung bereits im Jahr 2015 wieder aufgekündigt. Nach mehreren aufeinander folgenden Anschlägen in Suruç, Ankara und Diyarbakır befand sich das gesamte Land erneut im Chaos. Im Schatten der blutigen Ereignisse und den Ausgangssperren, die teilweise über Monate lang in kurdischen Städten verhängt wurden, feierte man das Frühjahrsfest 2016 eher zurückhaltend.
Diese Jahr wiederum wird der Feiertag vom Ausnahmezustand überschattet. Es gibt bisher nur wenige offizielle Erklärung dazu, ob die Feste genehmigt sind, oder nicht. So ist die Feier in Istanbul untersagt, für Diyarbakır gab es vorerst eine Genehmigung. Doch selbst wenn sich dies kurzfristig ändern sollte, sind viele überzeugt: Das Newroz-Feuer wird trotzdem überall brennen.