Das Innenministerium weitete das PKK-Verbot auf 33 Symbole aus. Eine Gruppe kurdischer Studierende ist auch betroffen. Die aber hält sich nicht an das Verbot.
Das Wort, das Malou Demir und Hevi Yılmaz in der Stunde vor der Filmvorführung im Berliner Eiszeitkino am Häufigsten verwenden, lautet „kriminalisiert“. Es fällt, wenn es um kurdische Organisationen in Deutschland geht, es entfährt den beiden Studentinnen, wenn sie an die Raumvergabe an der Uni denken. Und man hört es, wenn man nach dem aktuellen Verbot mutmaßlicher PKK-Symbole fragt.
„Wir lassen uns aber nicht kriminalisieren. Nicht von den Unis, und nicht von der Bundesregierung“, sagt Yılmaz , eine zierliche Frau mit fester Stimme. Seit zwei Jahren ist die 23-Jährige bei der Berliner Hochschulgruppe „Verband der Studierenden aus Kurdistan“ (YXK) aktiv. Ihre Freundin Demir nickt zustimmend.
Wie ernst die beiden es mit der Ankündigung meinen, sieht man an den Flyern auf dem Tisch, die Demir und Yılmaz später hier, im Kinofoyer, verteilen wollen – und damit bewusst eine Straftat begehen. Das liegt an dem kreisrunden Symbol in leuchtendem Gelb, das unter der Einladung zum Jugendkonzert mit Hip-Hop und traditionellem Tanz prangt.
Es zeigt das geeinte Kurdistan, darin ein aufgeschlagenes Buch, das Symbol der Studierendengruppe YXK. Weil das Innenministerium es neuerdings der kurdischen Terrororganisation PKK zuordnet, darf es ab sofort nicht mehr im öffentlichen Raum gezeigt werden. Unlogisch, findet Yılmaz : „Die YXK selbst ist ja nicht verboten.“
An 15 deutschen Unis ist die Studierendengruppe vertreten, sie lädt zu Vorträgen auf dem Campus, nutzt Uni-Räume für Veranstaltungen, wirbt in der Mensa um Mitglieder. Das alles dürfen sie auch künftig. Mit einer Einschränkung: Auf Fahnen, Transparente und Flyer mit dem farbigen Symbol müssen sie dabei verzichten.
Die Universität Duisburg-Essen hat die Raumvergabe der dortigen YXK-Gruppe soeben an diese Bedingung geknüpft – zu ihrem eigenen Schutz, wie eine Pressesprecherin es formuliert. Denn wer sich mit dem Symbol erwischen lässt, riskiert eine Strafanzeige nach Paragraph 20, Vereinsgesetz: Zuwiderhandlung gegen Verbote.
Für die beiden Kurdinnen Demir und Yılmaz, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, heißt das: Wenn sie die Berliner Polizei mit einem Flyer erwischt, könnten sie zu einer Geldstrafe verurteilt werden. Ein Umstand, der Yılmaz nicht beeindruckt: „Wir werden weiter unsere Fahnen und Symbole zeigen“.
Die Alternative – Kuschen und Flyer wegschmeißen – kommt für sie nicht in Frage. Aus diesem Grund sind Demir und Yılmaz in dieser Geschichte Pseudonyme. An welcher Uni sie studieren und wie sie genau aussehen, soll hier ebensowenig stehen. Das war ihre Bedingung für das Treffen.
Die beiden Frauen haben guten Grund, vorsichtig zu sein. Mehrfach haben sie nun schon erlebt, wie ernst die Polizei die neuen Verbote nimmt, die seit dem 2. März gelten. Das Bundesinnenministerium hat ein Rundschreiben an die Bundesländer verschickt, in dem sie insgesamt 33 PKK-Symbole und Ersatzsymbole auflistet. Einige sind wie die kurdische Arbeiterpartei selbst seit 1993 verboten.
Neun Kennzeichen hat das Innenministerium neu auf die Liste gesetzt, darunter das der syrisch-kurdischen Kampfgruppen YPG/YPJ, die in Syrien aktive „Partei der Demokratischen Union“ (PYD) sowie der Verband der Studierenden aus Kurdistan (YXK).
Auf einer Solidaritätskundgebung für einen mutmaßlichen PKK-Aktivisten Ende März filmte die Berliner Polizei, beschlagnahmte die frisch verbotenen Flaggen der syrisch-kurdischen Kampfgruppen YPG und nahm die Personalien zweier Männer auf. In der Hannoveraner Innenstadt beschlagnahmte die Polizei die Flagge der örtlichen YXK-Gruppe.
Nur in Frankfurt, wo Zehntausende Kurd*innen im März das kurdische Neujahrsfest „Newroz“ feierten, wurden so viele PKK-Fahnen und Porträts des Kurdenführers Abdullah Öcalan gesichtet, dass die Polizei davon absah, das Fahnenverbot umzusetzen. Die Situation hätte eskalieren können, lautete die Begründung.
Was für viele hierzulande vernünftig klingt, löste in der Türkei wütende Proteste aus. Das Außenministerium verurteilte das „unaufrichtige Verhalten“. Präsident Erdoğan behauptet schon länger, Deutschland unterstütze PKK-Terroristen – anstatt sie zu verfolgen. Tatsächlich wird derzeit gegen 241 mutmaßliche PKK-Mitglieder ermittelt, seit 2004 waren es insgesamt 2.500 strafrechtliche Verfahren „mit PKK-Bezug“, teilt das Innenministerium mit.
Und es dürften mehr werden, schätzt der Berliner Rechtsanwalt Lukas Theune, der seit Jahren kurdische Mandanten vertritt. Derzeit berät er auch einen der Männer, den die Berliner Polizei mit einer YPG-Fahne erwischt hat. „Ich sehe für das Verbot keine Tatsachengrundlage“, sagt Theune. „YPG oder auch die Studierendengruppe YXK verfolgen vielleicht ähnliche Ziele wie die PKK, sind aber unabhängige Organisationen“.
Spricht man mit Kurd*innen, hört man eine andere Begründung: Die türkische Regierung nehme Einfluss auf die deutsche Innenpolitik. Der Bundesverband der kurdischen Studierenden wirft der Bundesregierung eine „heuchlerische Politik“ vor: halbherzige Kritik bei Menschenrechtsverletzungen in der Türkei, gleichzeitig kriminalisiere sie die diejenigen, die vor Erdoğan fliehen. Urteil: politische Abhängigkeit vom Erdoğan-Regime. Die Bundesregierung, ein Befehlsempfänger Ankaras? Mit dem Innenministerium als Adjutanten?
Das Rundschreiben sei kein Zugeständnis an Erdoğan, heißt es aus dem Innenministerium. Dass das Timing missverstanden werden könne, sei aber allen im Haus bewusst. Man habe sogar erwogen, die Aktualisierung der unter das Verbot fallenden Kennzeichen deswegen erst zu einem anderen Zeitpunkt an die Landesbehörden zu schicken.
Schlussendlich habe man aber entschieden, das „fachlich Notwendige“ deshalb nicht zu verschieben. Ausschlaggebend war das bevorstehende kurdische Neujahrsfest. Den Strafverfolgungsbehörden sollten alle notwendigen Erkenntnisse der Bundessicherheitsbehörden vorliegen.
Der Erklärung schenkt Yılmaz keinen Glauben. Sie meint zu beobachten, dass Erdoğans Arm schon längst bis an deutsche Hochschulen reicht. „Wenn sich türkische Studierende oder Politiker bei der Uni beschweren, wird unsere Veranstaltung abgesagt“. Zum Beweis schickt sie eine mehrseitige Dokumentation zu der Veranstaltungsreihe „Ditib, die Marionetten Erdoğans?“, mit der die YXK vor ein paar Monaten an verschiedenen Unis zu Gast war. An dreien wurde sie abgesagt. An der Universität Koblenz Landau wegen Sicherheitsbedenken.
„Mindestens 500 Protest- und Drohmails gingen bei uns ein“, erinnert sich Hochschulleiter Roman Heiligenthal am Telefon. Die Veranstaltung wurde dann abgesagt, weil es für ein Sicherheitskonzept mit der Polizei zu kurzfristig gewesen sei – nicht weil die Uni dem Druck nachgegeben hätte. Rückblickend stört den Rektor jedoch, dass der Moscheenverband Ditib so viel Einfluss nehmen konnte: „Die E-Mails kamen klar aus deren Ecke. Auch das Türkische Konsulat hat sich beschwert.“
Auch an der Uni Duisburg Essen intervenierte vorab das Konsulat – erfolglos. Und auch an der TU Berlin gab es vorab Umstimmungsversuche von türkischen Bürger*innen, bestätigt Sprecherin Stefanie Terp. Die Hochschulleitung entschied sich aber dazu, die freie Meinungsbildung nicht einzuschränken.
Der türkische AKP-Abgeordnete Mustafa Yeneroğlu warf der TU Berlin daraufhin auf Twitter vor, dem „Ableger der Terrororganisation PKK“ ein „Propagandaforum“ zu bieten. Die kurdische Studentin Yılmaz, die an jenem Tag im Hörsaal saß, spricht von Einschüchterungsversuchen. „Die AKP macht in Deutschland dasselbe wie in der Türkei: Sie bezeichnet jede Kritik als Terrorismus. Das dürfen die Unis nicht dulden“.