Mehrere Abgeordnete der HDP sitzen in Haft. Auf ihrem Kongress wählt die Partei eine neue Kovorsitzende und kündigt einen Friedensplan an.
Am Samstag wählte die Oppositionspartei HDP in einer außerordentlichen Versammlung in Ankara eine neue Kovorsitzende. Außerordentlich deshalb, weil der ehemaligen Kovorsitzenden Figen Yüksekdağ am 21. Februar diesen Jahres per Beschluss des Obersten Gerichtshofs ihr Mandat als Abgeordnete entzogen wurde.
Der Parteiausschluss folgte am 9. März. Während die HDP bei ihrer Gründung als Fortführung einer kurdischen politischen Bewegung galt, sprach sie mit der Zeit ein vielfältigeres Klientel an, sie wurde, sozusagen, „türkeiisiert“. Der Kongress am Wochenende war der fünfte seit der Parteigründung im Jahre 2012.
Für den Kongress wurde diesmal ein kleinerer Saal gewählt. Waren es in den vergangenen Jahren 5000–6000 Kongressteilnehmer*innen, so waren diesmal nur 300 Mitglieder anwesend. Gleich den Teilnehmerzahlen hielt sich auch die Euphorie in Grenzen. Dies war zum Teil dem Umstand geschuldet, dass die beiden Kovorsitzenden Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ nicht anwesend waren, da sie sich – so wie neun weitere Abgeordnete der HDP – derzeit in Haft befinden.
Als weiteres Druckmittel der Regierung gilt neben der Haft der Abgeordneten, auch die Entziehung der Abgeordnetenmandate. Neben der Kovorsitzenden Yüksekdağ traf es die Abgeordnete der Stadt Diyarbakır, Nursel Aydoğan. Für die beiden Abgeordneten Faysal Sarıyıldız und Tuğba Hezer ist der Prozess der Mandatserhebung ebenfalls im Gespräch.
Trotz allem lautet der Slogan des Kongresses: „Wir werden uns widersetzen und gewinnen“. Die Fotos der sich in Haft befindenden Abgeordneten sind überall auf dem Kongress präsent. Die Botschaft ist klar und deutlich: Demokratie und Frieden. Auf dieses Fundament will die Partei seit jeher bauen.
Die Quintessenz der verlesenen Nachricht des Kovorsitzenden Selahattin Demirtaş lautet: „Wir werden nicht aufhören, Frieden zu fordern“. Dieser Aufruf, den der Kovorsitzende „Fahrplan für den Kampf um Demokratie und Frieden“ nennt, gilt vor allem der Parteiführung und den Parteigruppen, die sich weiterhin für den Frieden einsetzen sollen.
Um den von Demirtaş beschriebenen „Fahrplan“ zu konkretisieren, wartet die HDP-Parteiführung den Ausgang des AKP-Parteikongresses ab. Die Regierungspartei AKP hatte sich ebenfalls am Wochenende zum Kongress getroffen und den Staatspräsidenten Tayyip Erdoğan erneut zum Parteichef gewählt. Wie der Fahrplan der HDP von der Regierung aufgenommen wird, steht noch in den Sternen.
Meral Danış Beştaş, HDP-Abgeordnete im südtürkischen Adana, die bis vor kurzem ebenfalls 83 Tage in Haft saß, stellt beim Kongress klar, dass die Partei auch in Zukunft mit gewaltfreien Mitteln kämpfen werde. Für eine Lösung des Kurdenkonflikts gäbe es in der Türkei keinen anderen Weg außer dem demokratischen, betont sie.
Die beim Kongress zur neuen Kovorsitzenden gewählte Serpil Kemalbay erklärt, dass man die Gelegenheit des außerordentlichen Treffens nutzen müsse, um neu anzufangen und um Forderungen aus der Öffentlichkeit zu besprechen. Kemalbay, die lange Zeit die der Partei angebundene Sozialistische Solidaritätsplattform betreute, ist vor allem für ihren Kampf um Arbeiter- und Frauenrechte bekannt.
In dieser schweren Zeit, sagt Kemalbay, müsse die Partei vor allem ihre Organisierung stärken. Für sie ist klar, wieso ihre Partei zur Zielscheibe der Regierung wurde: Aufgrund der Hoffnung, die die HDP bei den Parlamentswahlen 2015 geweckt hatte.
„Die bevorstehende Zeit werden wir nutzen, um eine Landkarte zu zeichnen, deren Wege zur Demokratie und zum Frieden führen“, sagt Kemalbay und erinnert dabei an die Gründungsphilosophie der HDP. „Die Völker der Türkei haben sich bei den Wahlen am 7. Juni 2015 für die Demokratie entschieden.
Gleich im Anschluss erlebten wir allerdings eine Aneinanderreihung von Putschen, die sich erst gegen die demokratischen Forderungen des Wahlergebnisses vom Sommer 2015 und dann gegen die Entscheidung bei Referendum am 16. April richteten. Jedoch sollte uns das nicht davon abhalten, weiterhin hoffnungsvoll zu bleiben.“
Letztlich deuten aber die angespannte Lage bezüglich der Kurdenfrage und der momentane Standpunkt der Regierung darauf, dass für die HDP noch sehr schwere Zeiten anstehen.
Nach einer gemeinsamen Enscheidung der Regierungspartei AKP und den Oppositionsparteien CHP und MHP wurde am 4. November 2016 die Immunität der HDP-Abgeordneten aufgehoben.Die höchste Haftforderung besteht gegen den Partei-Kovorsitzenden Selahattin Demirtaş, mit insgesamt 486 Jahren und sechs Monaten.
Laut Angaben der HDP-Rechtskomission wurden seit dem 24. Juli 2015:
- rund 11.000 Parteimitglieder der HDP in Polizeigewahrsam genommen
- 5.000 Mitglieder
- 11 Abgeordnete
- 38 Kovorsitzende von Stadtverwaltungen
- 97 Kovorsitzende von Bezirksverwaltungen
- 83 Bürgermeister*innen
- rund 750 Mitarbeiter*innen in Stadt- und Bezirksverwaltungen verhaftet
- In 18 Fällen werden lebenslängliche Haftstrafen gefordert.