Bülent Şık, der ältere Bruder des seit vier Monaten inhaftierten Journalisten Ahmet Şık, berichtet über die Haftbedingungen seines Bruders.
Dr. Bülent Şık ist einer der renommiertesten Ernährungswissenschaftler der Türkei. Auch er bekam, genauso wie sein Bruder, die geballte Wut der Regierung zu spüren. Wie viele andere unterschrieb er den Aufruf der „Academics for Peace“. Dafür wurde ihm der Lehrauftrag an der Akdeniz-Universität in Antalya entzogen. Da er keine neue Anstellung als Wissenschaftler findet, hat er einen Job als Kellner in einem Café angenommen. Bei einem Treffen im Anschluss an einen Besuch seines Bruders in der Strafanstalt unterhielt er sich mit taz.gazete über die Bedingungen „drinnen“ und „draußen“.
Es ist ein Ort, an dem sich Journalisten, Politiker und Autoren befinden, die in verschärfter Einzelhaft festgehalten und deren Rechte missachtet werden. Ein Ort, an dem die Gefängnisleitung nach Gusto handeln kann. Das Gebäude ist mit Stacheldraht umzäunt, selbst der kleinste Winkel an der Halde des Gebäudes, so dass sogar der Himmel nur durch Stacheldraht zu sehen ist. Alles ist so unnötig und absurd, dass das Geschehene nur mit Hass und Rachsucht zu erklären ist. Als ich das Gebäude zum ersten mal sah, überkam mich ein Gefühl von Ekel.
Es gibt so viele Durchsuchungen, bis wir als Besucher*innen zu unseren Angehörigen durchgelassen werden, dass es fast an Belästigung grenzt. Vor allem ältere Menschen und Kinder leiden sehr unter diesem Prozedere.
Man wird zweimal gründlich durchsucht. Am Eingang gibt es ein Zimmer, in dem man einem retinal scanning unterzogen werden, wobei das Auge gescannt wird. Im Anschluss durchqueren sie zu Fuß das Gelände bis zu dem Blog, in dem sich ihr Angehöriger befindet. Auch dort werden sie erneut gründlich untersucht. Ob sie die Station betreten dürfen, hängt von dem Scanngerät ab. Bei meinem letzten Besuch wurde ich 70 bis 80 mal gescannt, weil das Gerät einfach keine Freigabe erteilte. Erst nach 15 Minuten konnte ich die Kontrolle passieren, das alles geht von ihrer Besuchszeit ab.
Das seit Monaten andauernde Verbot Büchersendungen zu empfangen wurde nun endlich aufgehoben, allerdings darf er nur insgesamt 10 Bücher erhalten. Die Briefe werden den Inhaftierten nicht ausgehändigt. Es gibt keinerlei rechtliche Grundlage für dieses durch die Gefängnisleitung durchgesetzte Briefverbot, das ist reine Willkür. Es gibt auch keinerlei Möglichkeiten für die Gefangenen etwas zu schreiben, dass sie nach außen kommunizieren dürfen.
In seiner ersten Haft waren die Bedingungen noch nicht derart heftig. Es gab zum Beispiel keine isolierte Haft. Er konnte seine Anwälte zu jeder Zeit sprechen. Es gab keine Verbote, was den Empfang von Büchern und Briefen beinhaltete. Der Ausnahmezustand bietet für jede Art von Gesetzesverstößen eine Begründung.
Ahmet hat starke Nerven. Ich habe nur Angst um seine Gesundheit. Unter solch erschwerten Bedingungen eine derart isolierte Haft auszuhalten wirkt sich über kurz oder lang auf die Psyche aus. Ich hoffe, die Haft wird nicht allzu lange andauern.
Nein! Im Gegenteil, ich habe das erwartet. Wir sind acht Unterzeichner*innen an der Akdeniz-Universität, und ich meinte noch: Die werden uns rausschmeißen“. Wir hatten damals alle sehr gelacht.
Ich vermute, dass liegt daran, das ich lange Jahre in verschiedenen Ministerien gearbeitet habe und wusste, wie die „Logik des Staates“ funktioniert. In der Türkei sind die Universitäten bisher einer der letzten Orte gewesen, wo man die staatliche Logik durchgesetzt hat. In den Ministerien und lokalen Verwaltungen macht man aus solch einfachen Angelegenheiten eher ein Drama. Es gibt eine Menge Menschen, denen das leben so zur Hölle gemacht wurde.
In den Provinzen nehmen staatliche Organisationen die Menschen in die Mangel. Als Recep Tayyip Erdoğan die Akademiker*innen, die den Friedensaufruf unterzeichnet hatten, als „Staatsverräter“ bezeichnete, dachte ich trotzdem nicht, dass die Rektor*innen sich so schnell auf Linie bringen lassen würden. Als die Akdeniz-Universität eine Untersuchung einleitete, wurden unsere Akten an die YÖK (staatliche Hochschulverwaltung, Anm.d. Red.) geliefert. Mit dem Vermerk, dass uns der Lehrauftrag entzogen wird. Dieser Prozess unterlag noch nicht einmal den einfachsten juristischen Grundregeln. Das Schlimmste daran war, dass der führende Kopf für die Nachforschungen der Dekan der juristischen Fakultät war.
Ich übe mich in Selbstkritik und fange mal mit meinem Fachbereich an: Es gibt keine einzige lebensmittelwissenschaftliche Organisation, die sich fundiert mit Ernährung auseinandersetzt. Und zwar weil die Wissenschaftler*innen es sich nicht leisten können, sich mit dem Staat und den Lebensmittelkonzernen zu verscherzen. Die Intellektuellen und Akademiker*innen bevorzugen es, sich nach der Macht auszurichten. Das kann ich nicht nur mit Angst oder sich wegducken erklären. Das sitzt tiefer. Das sind Probleme, die über Jahre gewachsen sind. Somit werden Handlungen, die Intellektuelle oder Akademiker*innen zu bestimmten Zeiten tun müssen, als Courage angesehen.
Der Staat stellt mir nicht zum ersten Mal ein Bein. Ich bin oft gestrauchelt, aber ich fand immer wieder einen Weg, um auf die Beinen zu kommen. Auch diesmal. Ich werde einem Freund in seinem Café aushelfen. Solange ich eins bin mit mir und mich nicht verrenken muss, ist es mir gleich, wo ich mein Geld verdiene.
Ein Freund sagte letztens über die staatliche Gewalt folgenden schönen Satz: „Wir haben es mit einem Staat zu tun, der den Garten zertrampelt, den unsere Mütter und Väter zu begrünen versuchten. Und Menschen wie wir versuchen gerade, mit den wenigen Blümchen und Pflänzchen in unseren Händen, den Garten zu richten.“ Vielleicht leben wir auch einfach in einem Garten, wo es Menschen gibt, die die Handvoll Blumen mit Hingabe zertreten würden.
Weitermachen. Und dem Wahren und Guten verpflichtet sein.