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Einer von 13 Cumhuriyet-Mitarbeitern in Haft.

Wegen einer Überschrift

Was Cumhuriyet-Online-Chef Oğuz Güven passiert, kennen wir bereits: Er wurde zur Zielscheibe erklärt, die Staatsanwaltschaft reagiert, nun sitzt er in Haft.

ERK ACARER, 2017-05-17

Lange Jahre war der Journalist Oğuz Güven bei Zeitungen und Fernsehsendern als Redakteur, innenpolitischer Ressortleiter und Chefredakteur tätig.

Lange Jahre hatte auch ich die Gelegenheit, mit diesem Kollegen zusammen zu arbeiten. Erst kürzlich treffe ich ihn zufällig in Istanbul. Wir trinken gemeinsam einen Tee. Er drückt seine dünne Zigarette aus, steht auf und wir umarmen uns. Wir wissen nicht, wen von uns es als nächstes treffen wird. Beim Abschied lächelt er mir zu. “Wer weiß, wann und wo wir uns wiedersehen werden, Bruder?“

Kurz nach seiner Festnahme am 15. Mai sagt der Online-Chef der Tageszeitung Cumhuriyet, Ogus Güven: “Angesichts dieser Verwesung gibt es nichts mehr zu machen!“

Unfallmeldung wird zu „Terrorpropaganda“

Seine vermeintliche Straftat: eine im Türkischen häufig gebrauchte Redewendung als Überschrift einer Nachricht zu machen und dies über den offiziellen Twitteraccount der Cumhuriyet zu teilen. Die Redewendung wird vor allem bei Verkehrsunfällen verwendet. Die Überschrift lautet: “Staatsanwalt von LKW niedergemäht!“

Die Nachricht dreht sich um den Unfalltod von einem der Staatsanwälte, die mit den Prozessen rund um den Putschversuch im vergangenen Sommer betraut wurden. Und die Nachricht reicht aus, um Güven wegen “Terrorpropaganda“ hinter Gittern zu bringen. Der Vorwurf: Die Nachricht würdige die Putschgegner ab.

Und auch Oğuz Güven bemerkte schnell, dass die Nachricht falsch verstanden werden könne, ließ den Tweet nur 55 Sekunden später wieder löschen. Aber da war es schon zu spät. Zahlreiche Stimmen forderten schon innerhalb einer Minute die Verhaftung des verantwortlichen Redakteurs. Darunter auch Kolleg*innen.

Nachricht nur Ausrede

Nach vier Tagen Polizeigewahrsam, sagt Güven vor dem Gericht aus und wird anschließend in die Haftanstalt Silivri gebracht. Das Ziel: Kritiker Erdoğans und der Regierung sowie deren Medien endgültig zum Schweigen zu bringen.

Zu den bereits verhafteten Korrespondet*innen, leitenden Redakteur*innen und Anwälten der Cumhuriyet kommt noch eine Person hinzu und somit sind derzeit 13 Cumhuriyet-Mitarbeiter*innen im Gefängnis. Die Schlagzeile der Tageszeitung, am Tag nach Güvens Verhaftung, lautete: “Sie haben die Justiz niedergemäht.“

Ein anderer Cumhuriyet-Kollege sagt, halb traurig, halb sarkastisch: “Hätten sie nichts anderes gefunden, hätten sie Güven festgenommen, weil er Slim-Zigaretten raucht.“

Regierung sieht zu

So werden Journalist*innen in der Türkei festgenommen. Erst werden sie zur Zielscheibe erklärt. Dann von Staatsanwälten, die es sich zur Sache machen, dem “Volk zu dienen“, hinter Gittern gebracht. Die Regierung sieht dem ganzen aus der Ferne zu.

Vor allem, dass Journalist*innen von regierungsnahen Kolleg*innen falsch beschuldigt und daraufhin erst verhaftet werden, ist besonders bedrückend. Die Erdoğan-Regierung ist im Begriff, ein Informantennetz nach dem “Bürger-Journalisten“-Modell zu erschaffen und wir werden Zeuge davon. Auch im Fall von Oguz Güven ist etwas ähnliches zu beobachten.

“Justiz niedergemäht“

Nach Güvens Verhaftung äußert die Cumhuriyet-AnwältinTora Pekin folgendes: “Es ist vollkomen klar, dass das einzige Ziel darin besteht, die Zeitung Cumhuriyet umzustrukturieren oder komplett zu schließen. Es ist, als ob dem Staatsanwalt, der es schafft die Zeitung zu schließen, ein Preis versprochen wurde.“

Und auch Cumhuriyet-Verleger Orhan Erinç erhofft sich nichts mehr von der Justiz. Auf die Urteile zu warten, sagt er gleiche dem “Warten auf Godot“. Und dennoch räumt er ein: “Wir nicht das Recht, pessimistisch zu denken. Wir müssen einen Weg finden.“

ERK ACARER, 2017-05-17
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