Immer mehr Menschen in der Türkei werden verhaftet, weil sie über die App „ByLock“ kommunizieren. Was steckt dahinter?
Der häufigste Vorwurf bei Festnahmen im Kontext der Ermittlungen seit dem Putschversuch im vergangenen Jahr ist die Nutzung der Messenger-App BYLOCK. Der kürzlich erfolgte Prozess gegen die Mitarbeitenden der Tageszeitung Cumhuriyet zeigt, wie dieser Vorwurf zu einem Instrument der Regierung geworden ist, um die Opposition zu diffamieren.
So steht der Cumhuriyet- Autor Kadri Gürsel wegen „Kontakts zu Personen, die ByLock verwendet haben“ vor Gericht. Bereits tausende Bürger*innen, wurden in der Türkei demselben Vorwurf ausgesetzt. Warum aber wird die Nutzung der Nachrichten-App Straftat geahndet?
Dem türkischen Geheimdienst „Milli İstihbarat Teşkilatı“(MIT) zufolge wird der Nachrichtendienst, der vor dem Putschversch kaum in der Öffentlichkeit bekannt war, hauptsächlich von Mitgliedern der Gülen-Bewegung verwendet. ByLock ermöglicht verschlüsselte Kommunikation.
Die Nutzung des von IT-Spezialisten als Amateursoftware eingestuften Nachrichtendienstes gilt seit dem 15. Juni 2016 als Straftat. Doch wurde bisher keinem Angeklagten ein Gesprächsprotokoll als Beweise vor Gericht vorgelegt. Can Ataklı, Autor der regierungsnahen Zeitung Sözcü, behauptete in einem Artikel, dass laut Geheimdienst auch 61 AKP- Abgeordnete zu den verdächtigen ByLock-Nutzern gehören.
Der Nachrichtendienst war das erste mal im Jahr 2014 als App über Google Play und Apple Store verfügbar. Dem Geheimdienst zufolge sei die App seither von 600.000 Nutzern heruntergeladen worden, vorwiegend in der Türkei, Saudi Arabien und dem Iran. Allerdings finde 98 Prozent der Kommunikation auf türkisch statt.
Lizenzinhaber der App ist der US-Amerikaner türkischer Herkunft, David Keynes. Keynes äußerte 2016 gegenüber Hürriyet, die Software sei von einem Gülenisten unter dem Pseudonym „Fuchs“ entwickelt worden und habe ursprünglich in Silicon Valley verkauft werden. Allerdings sei die Software nach und nach für die alltägliche Kommunikation unter Gülenisten verwendet, wie zum Beispiel das Senden von Gebeten.
Gegen Journalist Ismail Saymaz, der Keynes für Hürriyet interviewt hatte, wurde nach Erscheinen des Artikels ein Ermittlungsverfahren wegen „Verharmlosung und Reinwaschung“ der „Terrorsoftware“ eröffnet.
Auch Fatih Yağmurs Name taucht auf diversen, nicht immer deckungsgleichen Listen des Geheimdienstes auf, die als „Liste der ByLock-Nutzer“ Gegenstand diverser Nachrichten wurde. Yağmur, ehemaliger Redakteur der Zeitung Radikal, geriet deswegen nach dem Putschversuch in die Schlagzeilen. Vor kurzem gab er via Twitter zu, den Nachrichtendienst ByLock verwendet zu haben.
„Für Gerichtsreporter sind Staatsanwälte, Richter, Anwälte und Sicherheitsleute wichtige Quellen.“, so Yağmur im Gespräch mit taz.gazete. „Da gewöhnliche Kommunikationswege abgehört werden, nutzt man die von der Quelle als sinnhaft erachtete Verschlüsselungsoftware. Vor ByLock habe ich Dienste wie Skype, Viber oder Line verwendet. Mein Telefon ist ein einzige App-Deponie.“
Dass es sich eine zweifelhafte Software handeln könnte, will Yağmur nicht gewusst haben. Etliche Journalisten, die heute für regierungsnahe Medien arbeiten, hätten ihm damals im Presseraum der Justizanstalt die Nutzung der Software empfohlen. Yağmur geht weiter und behauptet, es existiere eine Exeltabelle, zu der beliebig Menschen als ByLock Nutzer hinzugefügt würden: „Wenn sie oppositionell sind, dann werden sie beschuldigt. Wenn nicht, dann gibt es kein Problem.“
Außerdem sei es höch schwierig, dass auch Menschen, die vielleicht nur zufällig Kontakt zu ByLock-Nutzern haben, als Straftäter angeklagt werden. Allein wegen ihm würden, von seinem Hausmeister zu hunderten Journalistenkollegen, viele seiner Kontakte mitschuldig gemacht werden. „Selbst mit Richtern und Staatsanwälten, die heute die wichtigsten Prozesse gegen die FETÖ führen, habe ich früher über ByLock kommuniziert.“ so Yağmur.
Wie gefährlich die Terroristenjagd unter dem Vorwurf der ByLock-Nutzung sein kann, zeigen einzelne Fälle, die in den vergangenen Wochen in der Presse bekannt wurden. In Aksaray wurde, eine ältere Dame während ihres Einkaufs auf dem Wochenmarkt verhaftet. Es stellte sich heraus, dass die Ehefrau ihre Sohnes die Software auf das Telefon ihrer unliebsamen Schwiegermutter geladen hatte.