Doğan Akhanlı war zweimal in der Türkei inhaftiert und kennt die Haftbedingungen, auch für deutsche Staatsbürger. Im März schrieb er Deniz Yücel einen Brief ins Gefängnis.
Am Wochenende wurde der türkeistämmige deutsche Schriftsteller Doğan Akhanlı auf Betreiben der Türkei während seines Urlaubs in Spanien festgenommen. Inzwischen wurde er aus der Haft entlassen, doch darf er Madrid nicht verlassen, bis ein Gericht über seine Auslieferung entscheidet.
Akhanlı ist einer der ersten Autoren in der Türkei, der den Genozid an der armenischen Bevölkerung mit seiner Romantrilogie „Die verlorenen Meere“ literarisch verarbeitet hat. Die Türkei hatte Akhanlı, der bereits zweimal in türkischer Haft gesessen hat, mehrfach wegen angeblicher Terrorunterstützung im Visier. 1992 floh der Schriftsteller nach Deutschland, wo er seither in Köln lebt.
Nach der Festnahme von Deniz Yücel schrieb der Schriftsteller dem inhaftierten Journalisten am 1. März 2017 einen Brief ins Gefängnis. Wir veröffentlichen den Brief mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Lieber Deniz,
wie viele andere hatte auch ich angenommen, dass du aus der Polizeistation, in die du dich freiwillig begeben hattest, wieder als freier Mann entlassen würdest. Doch leider habe ich mich geirrt. Als jemand, der den Ort, den sie als Sicherheitswache bezeichnen, seit den 70er Jahren kennt, kann ich mir gut vorstellen, welch schwierige Zeiten du durchlebst.
Die Gefängniszellen sind für deutsche Staatsbürger nicht mit Blumenbouquets bestückt, das weiß ich aus eigener Erfahrung aus dem Jahr 2010, als ich verhaftet wurde. In den vergangenen sechs Jahren haben viele Dinge in der Türkei eine beunruhigende Wendung genommen. Zuvor befand sich das Land in einer Phase ernsthafter Veränderungen. Und trotz allem was bisher passiert ist, war es die hoffnungsvolle Atmosphäre dieser Zeit, die mein Leben geprägt hat.
Seit dem Tag deiner Verhaftung bist du täglich in den Nachrichten, sicherlich ist hast du davon erfahren. Ich weiß aber nicht, ob dir bewusst ist, dass deine Verhaftung der Grund für eine sich anbahnende Staatskrise zwischen Deutschland und der Türkei ist. Mehr noch, es scheint, als würde es sich zu einem Problem zwischen ganz Europa und der Türkei entwickeln – und ob das zu einer Verkürzung oder gar Verlängerung deiner Haftzeit führt, kann ich gerade auch nicht einschätzen.
Auf deinem Weg ins Metris-Gefängnis habe ich versucht, dich in Gedanken zu begleiten. (Metris ist eine Haftanstalt in Istanbul, in der tausende politische Gefangene nach dem Putschversuch am 12. September 1980 inhaftiert wurden. Im Jahr 1988 gelang 29 Insassen, Mitglieder verschiedener linker Organisationen, die Flucht durch einen Tunnel. Anm.d.Red.)
Falls ihr euch über die Vatan-Straße aufgemacht habt, dann weiß ich ganz genau über welche Straßen ihr zum Gefängnis gefahren sein müsst. Der Weg dorthin ist mir gut bekannt. Ich weiß natürlich nicht, ob die Bürokraten, denen man beim Haftantritt in der Gefängnisaufnahme begegnet, noch so gut drauf sind, wie im Jahr 2010.
Als ich nach Metris gebracht wurde, kam es zu diversen Schwierigkeiten, an die ich mich heute mit einem Lächeln erinnere. Ich musste Mitglied einer verbotenen Organisation sein, damit sie mich registrieren und in die Zelle werfen konnten. Weil ich „deutscher Staatsbürger“ war, machten sie mir zusätzlich Schwierigkeiten. Ich habe eine Kurzgeschichte darüber geschrieben, die der WDR veröffentlicht hat. Falls ich diese finde, schicke ich dir gerne die türkische Version.
Während meiner beiden Gefängnisaufenthalte, zwischen denen 25 Jahre liegen, habe ich im selben Block gesessen: 1986 bis 1987 und 2010. Als ich denselben Block, genannt Sibirien, gebracht wurde, fühlte ich mich wie ein Zeitreisender. Was mir im Gefängnis am wenigsten gefiel, waren die Transportwagen. Mir scheint, dir geht es ähnlich. Je moderner, desto unerträglicher. Die bequemsten waren doch die Cemses der 70er Jahre (steht für GMC, die Marke der Militärfahrzeuge, in denen viele Oppositionelle abgeführt wurden, im Volksmund Cemse ausgesprochen, Anm.d.Red.).
Ich wurde nach Tekirdağ gebracht und hatte angenommen, dass sie auch dich dorthin verlegen würden. Doch mir scheint, sie haben Silivri bevorzugt, weil du so prominent bist. Na immerhin wirst du dich dort nicht so einsam fühlen. Ahmet Şık und viele deiner Kolleg*innen befinden sich auch dort.
Seit deiner Verhaftung ist es überall in Deutschland wie auf einer türkischen Hochzeit. Fast in jeder Stadt fahren wöchentlich Autos hupend durch die Stadt und verlangen deine Freilassung. Ich denke, so eine Aktionsform hat es vorher nicht gegeben. Die meisten deiner Freunde erweisen dir auf Facebook die Ehre, indem sie ihre Seiten mit deinem Schnäuzerfoto schmücken.
Wir sind sehr verärgert über die unangemessenen Angriffe auf deine Person durch manche Politiker und Medien. Trotz dieser Unachtsamkeit gehe ich doch davon aus, dass die politischen Verantwortlichen dich nicht sehr lange in Haft halten wollen werden. Letztendlich bist du der Staatsbürger eines anderen Landes und unsere türkische Heimat – DAS THEMA IST EINE ANALYSE WERT – schert sich nicht um seine eigenen Bürger.
Auch wenn dein Name Deniz Yücel lautet, die Tatsache, dass du ein deutscher Staatsbürger bist und damit auch dem Schutz eines anderen Staates unterstehst, ist derzeit dein einziger Vorteil. Selbst wenn die Bundesrepublik nicht in allem deiner Meinung ist, ist sie eines der Länder, das sich bestmöglich um seine Bürger kümmert. Und im Moment bist du ihr bekanntester Bürger.
In den 24 Jahren, die ich in Deutschland lebe, habe ich noch nicht erlebt, dass sich die Bundesrepublik so sehr um einen im Ausland inhaftierten Deutschen bemüht hat. Vom Staatspräsidenten zur Kanzlerin gibt es keine Person in Politik, Kunst oder einer anderen Institution, die sich nicht bereits für deine Freilassung ausgesprochen hätte, und ich vermute, dass wird so weitergehen, bis du entlassen wirst und nach Deutschland zurückkehrst.
Wir alle vermissen deine Artikel und hoffen, dass du mit der Rückkehr der Kraniche im Frühling wieder bei uns bist.
In Liebe und Freundschaft, Doğan Akhanlı