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Die Universität Bielefeld steht in der Kritik, bevor ihr Projekt begonnen hat

Fördern und verfolgen

Die Uni Bielefeld startet eine Initiative für geflüchtete Akademiker. Teil des Projekts ist eine türkische Behörde, die selbst Wissenschaftler ausgrenzt.

VOLKAN AĞAR RALF PAULI, 2018-01-11

Für geflüchtete WissenschaftlerInnen ist die Universität Bielefeld ein guter Ort. Die Hochschule ist Mitglied des internationalen Netzwerks Scholars at Risk, das bedrohten AkademikerInnen Perspektiven im Exil ermöglichen will. Sie betreibt auf ihrem Campus zusammen mit der Mercator-Stiftung eine Clearingstelle für Geflüchtete mit Studienwunsch und hat nach eigenen Angaben seit dem Jahr 2015 selbst rund 40 gefährdete ForscherInnen an ihrer Uni betreut – unter anderem aus Syrien und der Türkei.

Vergangenen Donnerstag stellte die Uni ihre neueste Initiative vor: das von der EU finanzierte Projekt Bridge (Bridge for Researchers in Danger Going to Europe), das ab Frühling insgesamt 220 geflüchtete WissenschaftlerInnen betreuen und deren Berufseinstieg erleichtern will. Konkret heißt das: Die Geförderten erhalten für zunächst zwei Jahre Karriereberatung, Training und Mentoring an der jeweiligen Hochschule.

Und zwar nicht nur in Deutschland, sondern auch in Griechenland, Bulgarien, der Schweiz und in der Türkei. Das sollen die insgesamt sieben Projektpartner sicherstellen, darunter auch die renommierte ETH Zürich. 370.000 Euro aus dem EU-Förderprogramm Horizon 2020 stehen dafür zur Verfügung. Die Uni Bielefeld übernimmt die Koordination des Projekts – und steht dafür nun in der Kritik, noch bevor die Betreuung überhaupt begonnen hat.

Kritisiert wird sie ausgerechnet von jenen, die von Bridge profitieren sollen: türkischen WissenschaftlerInnen, die in ihrer Heimat verfolgt wurden und deshalb nach Deutschland geflüchtet sind. Der Grund: Einer der sieben Partner des Bridge-Projekts ist die Türkische Anstalt für Wissenschaftliche und Technologische Forschung, kurz Tübitak.

An der Unterdrückung beteiligt

Dabei handelt es sich um eine Art nationalen Wissenschaftsrat, der nicht nur die Regierung berät, sondern auch Forschungsprojekte organisiert und Gelder verteilt. Allerdings soll die Anstalt auch an der Unterdrückung kritischer WissenschaftlerInnen beteiligt sein, etwa indem sie Forschungsgelder verwehrt oder ihnen Gutachterposten bei wissenschaftlichen Zeitschriften entzieht.

Seit dem Putschversuch in der Türkei im Juli 2016 haben Tausende AkademikerInnen ihren Job verloren und wurden zum Teil verhaftet und angeklagt, weil sie angeblich der Gülen-Bewegung nahestehen, die die türkische Regierung für den Putschversuch verantwortlich macht. Viele sehen darin einen Vorwand, um sämtliche kritischen Stimmen im Land zu unterdrücken.

„Es ist eine ironische Situation, dass die Türkei an diesem Projekt teilnimmt, weil dort die freie Wissenschaft unterdrückt wird“, sagt etwa Muzaffer Kaya, der derzeit als Gastforscher am Center for Metropolitan Studies an der Technischen Universität Berlin arbeitet. Auch Kaya wurde in der Türkei verhaftet und hat seinen Job als Assistenzdozent an der Nişantaşı-Universität in Istanbul verloren, weil er öffentlich Kritik an der AKP-Regierung geäußert hat.

Im Januar 2016 prangerten die „AkademikerInnen für den Frieden“ die Gewalt gegen KurdInnen im Osten des Landes an. Binnen weniger Tage unterzeichneten 1.128 AkademikerInnen eine Petition, die die Regierung zu Gewaltverzicht auffordert, auch Kaya unterschrieb. Ihm und seinen KollegInnen wirft die türkische Justiz deshalb „Terrorpropaganda“ vor. Im Dezember begannen Prozesse gegen die UnterzeichnerInnen der Petition.

„Zynische Instrumentalisierung“

Einige Mitglieder der AkademikerInnen für den Frieden sind mittlerweile in Deutschland und haben hier einen Ableger gegründet. Die meisten von ihnen haben mithilfe des Philipp-Schwartz-Stipendiums, das vom Auswärtige Amt finanziert wird, oder anderen Programmen für gefährdete WissenschaftlerInnen Unterschlupf an einer deutschen Hochschule gefunden. Sie wissen zu schätzen, wie viel die Universität Bielefeld für gefährdete WissenschaftlerInnen leistet.

Die Bridge-Kooperation habe sie jedoch sehr „überrascht“, teilt die Gruppe der taz mit. Das nicht nur, weil sich Tübitak aktiv an der Unterdrückung der akademischen Freiheit in der Türkei beteiligt habe. Ein weiterer Grund sei, dass sich die Türkei mit ihrem Einsatz für geflüchtete WissenschaftlerInnen etwa aus Syrien international legitimieren könne – trotz repressiver Maßnahmen gegen die freie Wissenschaft im eigenen Land.

In einer Stellungnahme vom Mittwoch bezeichnet die deutsche Gruppe der AkademikerInnen für den Frieden diese Instrumentalisierung als „zynisch“. Deshalb fordert sie die Universität Bielefeld auf, die Kooperation mit dem türkischen Partner einzustellen.

An der Universität Bielefeld will man jedoch an der Zusammenarbeit festhalten, wie die Hochschule auf Anfrage der taz mitteilt. „Aktuell beobachtet das Rektorat der Universität Bielefeld mit Sorge die Entwicklungen im wissenschaftlichen Bereich der Türkei“, heißt es in einer schriftlichen Antwort. Man habe sich dennoch für eine Kooperation entschieden, weil die Türkei „die meisten geflüchteten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen im europäischen Forschungsraum aufnimmt“, solche „die zum Beispiel aus Syrien dorthin geflohen sind“.

Ein Dilemma für viele Beteiligte

Und auch die mit der Projektleitung betraute Wissenschaftlerin der Universität Bielefeld lässt mitteilen: Man habe den türkischen Projektpartner „bewusst ausgewählt“. Tübitak sei bereits Partner bei Programmen zur Beratung im Exil lebender WissenschaftlerInnen.

Für viele Beteiligte ist das ein Dilemma. Kooperiert die Uni Bielefeld mit Tübitak, profitieren auch etliche syrische und irakische ForscherInnen in der Türkei vom Bridge-Projekt. Gleichzeitig adelt die EU ein wissenschaftliches Gremium, das sich allem Anschein nach politisch instrumentalisieren lässt. Muzaffer Kaya ist bewusst, dass derzeit geflüchtete syrische KollegInnen in der Türkei leben und ihrerseits Unterstützung brauchen.

Aber statt mit der türkischen Regierung und ihren Institutionen zusammenzuarbeiten, schlägt er vor, mit zivilgesellschaftlichen Initiativen wie etwa den Solidaritätsakademien zu kooperieren. Diese Akademien versuchen, in der Türkei außerhalb der regulären Wissenschaftseinrichtungen Lehre und Forschung zu organisieren. Im September 2016 wurde die erste Akademie in der Stadt Kocaeli bei Istanbul gegründet.

Kaya hoffte zunächst, dass die Kooperation der Universität Bielefeld mit Tübitak „fälschlicherweise“ zustande gekommen sei. Doch erste – ergebnislose – Gespräche mit der Hochschule würden das Gegenteil beweisen. „Wir werden diese Zusammenarbeit weiterhin kritisieren“, sagt Kaya. „Mehr können wir derzeit nicht tun“.

Die AkademikerInnen für den Frieden in Deutschland dürften übrigens kaum vom Bridge-Programm profitieren. Gefördert werden nämlich nur WissenschaftlerInnen mit Asylstatus. Und den bekommt in Deutschland laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) derzeit nur jeder vierte Flüchtling aus der Türkei. Und nicht alle geflohenen WissenschaftlerInnen haben Asyl beantragt – aus Angst, damit nicht mehr in die Türkei zurückkehren zu können, wenn sich die Lage für kritische AkademikerInnen eines Tages wieder entspannen sollte.

VOLKAN AĞAR RALF PAULI, 2018-01-11
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