Mitglieder des türkischen Ärztebundes haben einen Friedensaufruf veröffentlicht. Nachdem Erdoğan sie zur Zielscheibe gemacht hat, wurden sie festgenommen.
Am 25. Januar veröffentlichten Mitglieder des türkischen Ärztebundes TTB einen Friedensaufruf, in dem sie schrieben, dass Krieg „ein Problem für die Gesundheit der Bevölkerung“ sei. Daraufhin wurden sie zur Zielscheibe des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, der sie als „Terroristenliebhaber“ bezeichnete. Am Dienstag wurden sie bei Polizeirazzien festgenommen.
Am frühen Dienstagmorgen führte die Polizei Razzien in den Häusern des Vorsitzenden Prof. Raşit Tükel und Mitgliedern der zentralen Kommission sowie in der Zentrale des Ärztebundes TTB durch. Dabei wurden elf MedizinerInnen wegen den Vorwürfen der „Volksverhetzung“ und „Terrorpropaganda“ festgenommen.
In ihrer Erklärung schrieben die Mitglieder des Ärztebundes: „Als Mitglieder einer Berufsgruppe, die den Eid abgelegt hat, Leben zu retten, vergessen wir nicht, dass es es unsere primäre Verpflichtung ist, das Leben und das Prinzip des Friedens zu verteidigen. Der Weg gegen den Krieg ist, ein gerechtes, demokratisches, der Gleichheit verpflichtetes, freies und friedliches Leben aufzubauen und zu ermöglichen. Nein zum Krieg, Frieden jetzt sofort!“
Es ist nicht das erste Mal, dass in der Türkei gegen KriegsgegnerInnen ermittelt wird. Die Militäroperation der türkischen Streitkräfte, die den Namen „Olivenzweig“ trägt und am 20. Januar begonnen hat, wird von verschiedensten gesellschaftlichen Milieus in der Türkei kritisiert. Insbesondere zivilgesellschaftliche Organisationen und manche politische Parteien sprachen sich gegen die Militäroffensive und für Frieden aus.
Staatspräsident Erdoğan erklärte entgegen dieser Friedensaufrufe gleich zu Beginn der Afrin-Offensive am 21. Januar, dass es sich bei der Operation um „einen nationalen Kampf“ handele und fügte hinzu: „Wir zermalmen alle, die sich vor uns stellen.“ Nach dieser Aussage begann die erste, landesweite Repressionswelle. Zahlreiche Personen, darunter viele JournalistInnen, wurden wegen Kritik an der Militäroffensive festgenommen, auch ihnen wird vorgeworfen, „die Bevölkerung zu Hass und Feindschaft“ anzustiften und „Terrorpropaganda“ zu verbreiten.
Menschenrechtsanwälte und Oppositionspolitiker kritisierten die neue Repressionswelle. Der Paragraf 216 des türkischen Strafgesetzbuches, der den Strafbestand der „Anstiftung der Bevölkerung zu Hass und Feindschaft“ regelt, verfolge den Zweck, die öffentliche Sicherheit und die öffentliche Ordnung zu gewähren, betonte Öztürk Türkdoğan, Anwalt und Vorsitzender der türkischen Menschenrechtsvereinigung IHD. „Der türkische Ärztebund und auch die Menschen, die sich in den sozialen Medien geäußert haben, sprachen sich für Frieden aus und betonten die Schädlichkeit von Kriegen. Es gibt hier keinen Fall von Anstiftung“. Die Staatsanwaltschaft müsse in diesen Fällen konkrete Beweise für die Anwendung von Gewalt vorweisen, so Türkdoğan.
Zum Vorwurf der „Terrorpropaganda“, der im Gesetz zur Terrorbekämpfung enthalten ist, sagte Türkdoğan, dass hier ein Name, eine Fahne oder die Äußerung einer Terrororganisation vorliegen müsse. In den Ermittlungen gegen die Mitglieder der Ärztekammer komme aber kein Name einer Terrororganisation vor. Es habe auch keine Kommunikation auf sozialen Medien zugunsten von Terrororganisationen gegeben. „Dieser Vorwand ist gänzlich erfunden. Das heißt, mit erfundenen Vorwänden wird hier gerade eine politische Operation geführt und die Justiz wird dafür instrumentalisiert“, sagte Türkdoğan.
Auch Selin Sayek Böke, Parlamentsabgeordnete der Republikanischen Volkspartei CHP, äußerte sich zu den Festnahmen der Ärzte: „Es ist keine Straftat, dem Krieg nicht zu applaudieren. Das ist eine Pflicht der Menschlichkeit. Die Aufgabe eines Mediziners ist es, Frieden zu fordern und zu verteidigen. Heute wurden Mitglieder des Ärztebundes festgenommen, weil sie das Recht auf Leben verteidigt und Frieden gefordert haben. Unsere Pflicht ist es nun, an ihrer Seite zu stehen und diesen Kampf gemeinsam zu führen.“
Ziynet Özçelik, die Anwältin des Ärztebundes, erklärte, dass die MedizinerInnen spätestens nach sieben Tagen in Untersuchungshaft der Staatsanwaltschaft vorgeführt werden müssten. Vier MedizinerInnen, die in Ankara festgenommen wurden, seien zur polizeilichen Direktion für Terrorbekämpfung gebracht worden. Außerdem seien auch die Mediziner, die in anderen Teilen des Landes festgenommen wurden, nach Ankara gebracht worden.
Bei den Festnahmen in Krankenhäusern seien zudem die Büros des TTB-Vorsitzenden Raşit Tüker und des Kommissionsmitglieds Taner Göret untersucht worden. Anwältin Özçelik hat ein Einspruch gegen die Haftbefehle eingereicht.