Am 6. April nimmt der neue Flughafen in Istanbul seinen Regelbetrieb auf.
Mit Grafiken, Videos, Reportagen und Interviews beleuchtet taz gazete die Folgen des Megaprojekts für Menschen, Umwelt und Wirtschaft.

Lesen Sie mehr unter
taz.atavist.com/istanbul-flughafen

„Erdogan ist noch im Amt, aber Deniz Yücel wurde freigelassen.“

Nachricht des Tages

Die Freilassung Deniz Yücels wird in der türkischen Presse nicht nur positiv aufgefasst. Heute wurden drei andere Journalist*innen zu lebenslanger Haft verurteilt.

EBRU TASDEMIR CANSET ICPINAR, 2018-02-16

Nach über einem Jahr Untersuchungshaft kommt der WELT-Korrespondent Deniz Yücel frei. Die erste Verhandlung soll laut der Tageszeitung Takvim am 28. Juni 2018 stattfinden. Wie sehen die Reaktionen in der türkischen Medienlandschaft dazu aus?

In dem Jahr seiner Haft bezeichnete die rechtspopulistische Tageszeitung Takvim den Korrespondenten der WELT und früheren taz-Kollegen Deniz Yücel in mehreren Artikeln als „terörist ajan“, als Terroristen und Agenten. Am Tag seiner Freilassung veröffentlicht sie einen unüblich trockenen, längeren Text, in dem sie sein Haus zitiert: “Nach Angaben der deutschen Zeitung DIE WELT kommt Deniz Yücel frei“.

Im folgenden geht Takvim ausführlich auf die Anklageschrift ein, in der ihm das Interview mit PKK-Funktionär Cemil Bayik und einige Äußerungen in den sozialen Netzwerken vorgeworfen werden. Die beiden Anklagepunkte: zum einen Terrorpropaganda für die verbotene PKK und die als FETÖ betitelte Organisation des Predigers Fethullah Gülen sowie „Aufstachelung des Volkes zu Hass und Feindseligkeit.“ Die erste Gerichtsverhandlung sei für den 28. Juni angesetzt. Der Bericht in der Takvim liest sich wie eine Pressemitteilung der türkischen Regierung, in der besonders ausführlich die Vorwürfe aus der Anklageschrift wiedergegeben werden.

Auch in anderen regierungsnahen Medien wird die Freilassung Yücels aufgegriffen, wenn auch nicht so ausführlich wie in der Takvim. Die Yeni Akit titelt sogar mit einem Zitat des türkischen Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan: „Solange ich im Amt bin, wird er niemals auf freiem Fuß kommen“. Das sagte Erdogan am 14. April 2017 in einem Fernsehinterview in Bezug auf Deniz Yücel. In Anbetracht der Regierungsnähe der Yeni Akit klingt der Titel fast wie ein Vorwurf.

Allerdings gibt es auch Blätter, denen die Freilassung des WELT-Korrespondenten überhaupt keine Nachricht wert zu sein scheint. In den regierungsnahen Blättern wie Sabah oder Güneş finden sich selbst nach ausführlicher Suchanfrage auf der Website nur alte Berichte über Yücels Inhaftierung. Welche Haltung hinter dieser Nachrichtenpolitik steckt, bleibt zu diesem Zeitpunkt noch ungewiss.

In linksalternativen und oppositionellen Medien, wie den Tageszeitungen Birgün, Evrensel und der Cumhuriyet lauteten die Titel: „Freilassungsurteil im Falle des Journalisten Deniz Yücel“, „Deniz Yücel ist jetzt frei“ und „Ein Jahr ohne Anklageschrift. Merkel mahnte, dann wurde Deniz Yücel freigelassen“. Minuten nach der Veröffentlichung war die Schlagzeile Aufmacher auf den entsprechenden Onlineauftritten. Das linke Nachrichtenportal sendika.org titelte „Es hat sich bestätigt, dass er als Geisel gehalten wurde. Erdogan ist noch im Amt, aber Deniz Yücel ist frei.“

Allerdings wird die gute Nachricht über die Freilassung von Deniz Yücel getrübt durch das Gerichtsurteil von Freitag Nachmittag gegen drei Journalist*innen, darunter die Brüder Ahmet und Mehmet Altan, Nazli Ilıcak, sowie Fevzi Yazıcı, Yakup Şimşek ve Şükrü Tuğrul Özşengül. Sie alle wurden nur zwei Stunden nach der Bekanntgabe von Yücels Freilassung zu erschwerter lebenslänglicher Haft verurteilt. Mehmet Altan saß anderthalbe Jahren in Untersuchungshaft, bevor eine Anklageschrift vorgelegt wurde.

Die Nachricht von Deniz Yücels Freilassung hat für wenige Stunden die Hoffnung geweckt, dass sich auch im Falle der mehr als 150 inhaftierten Journalist*innen faire Verfahren abzeichnen könnten. Diese Hoffnung hat sich schnell zerschlagen.

Aktualisierung: Die in diesem Text zitierten Online-Artikel über Deniz Yücel in der Takvim und Yeni Akıt sind einen Tag nach Erscheinen dieses Artikels nicht mehr auf den entsprechenden Webportalen zu finden.

Korrektur: Bei Erscheinen dieses Artikels stand im Teaser sechs Journalist*innen seien zu erschwerter lebenslanger Haft verurteilt worden.

EBRU TASDEMIR CANSET ICPINAR, 2018-02-16
ZURÜCK
MEHR VOM AUTOR