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Endlich frei: Deniz Yücel läuft am Freitag durch Istanbul

Endlich wieder blauer Himmel

Nach 367 Tagen in Untersuchungshaft wurde der deutsche Journalist Deniz Yücel freigelassen. Er verließ die Türkei sofort.

2018-02-17

Das Bild des Tages wurde am frühen Freitagnachmittag auf Twitter veröffentlicht. Deniz Yücel, Türkeikorrespondent der Welt, schließt vor den Toren des türkischen Hochsicherheitsgefängnisses Silivri in der Nähe von Istanbul seine Frau Dilek in die Arme. Das Foto stammt von seinem Anwalt Veysel Ok, mit dabei, aber nicht im Bild, der deutsche Generalkonsul in Istanbul, Georg Birgelen.

Nach genau einem Jahr und zwei Tagen in Untersuchungshaft geschah, womit dann so schnell doch kaum jemand gerechnet hatte: Für Deniz Yücel, den prominentesten deutschen Gefangenen in der Türkei, öffneten sich unverhofft die Gefängnistore und der Journalist durfte seine Einzelzelle verlassen.

Nach 367 Tagen endlich wieder ein offener blauer Himmel für Deniz. Der Unterstützerkreis #FreeDeniz jubelte, die Bundesregierung zeigte sich erleichtert, seine Familie ebenfalls und Kollegen in Deutschland, sie twitterten unter #Denizfree. Deniz Yücel bestieg am Freitag gegen 21.30 Uhr (Ortszeit) in Istanbul ein Flugzeug und wird noch in der Nacht in Deutschland zurückerwartet.

Noch einen Tag zuvor hatte der türkische Ministerpräsident Binali Yıldırım während einer gemeinsamen Pressekonferenz mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Berlin wie immer darauf verwiesen, dass die Entscheidung über eine Freilassung von Yücel natürlich nur die türkische Justiz treffen kann, auch wenn er selbst die Hoffnung habe, dass demnächst etwas Positives geschehe.

Dass es dann aber so schnell geschah, war dann doch allen Gerüchten zum Trotz eine Überraschung. Der zuständige Istanbuler Staatsanwalt reichte am Freitagfrüh beim Istanbuler Gericht für schwere Straftaten die Anklageschrift ein, nachdem er ein Jahr lang damit gewartet hatte. Darin fordert er für Yücel eine Haftstrafe zwischen 4 und 18 Jahren wegen Terrorpropaganda und Volksverhetzung.

Das Gericht, das offensichtlich informiert war und nur auf den Eingang der Anklageschrift gewartet hatte, verfügte daraufhin umgehend die Freilassung von Yücel aus der U-Haft. Nach Auskunft seines Anwalts Veysel Ok wurde er ohne Auflagen entlassen, was eben auch bedeutete, dass er die Türkei sofort verlassen konnte.

Eine rein politische Entscheidung

Das entspricht dem Vorbild des deutschen Menschenrechtlers Peter Steudtner, der im Oktober vergangenen Jahres ebenfalls nach mehrmonatiger Haft nach massivem deutschem Druck am ersten Tag seines Prozesses aus der U-Haft entlassen wurde und nach Deutschland ausreisen durfte, obwohl sein Prozess bis heute weiterläuft.

Genauso sieht es jetzt bei Deniz Yücel aus. Der erste Prozess­tag wurde vom Gericht auf den 28. Juni terminiert und er wird wohl ohne den Angeklagten stattfinden. Damit ist dem von der türkischen Regierung geforderten Prozedere Genüge getan, indem nun formal das zuständige Gericht die Freilassung verfügt hat.

Dennoch ist es natürlich wie schon bei Steudtner eine rein politische Entscheidung. Dass die türkische Justiz nach wie vor die Auffassung der türkischen Regierung teilt, die alle kritischen Journalisten für Terrorpropagandisten hält, zeigt eine Entscheidung einer anderen Kammer vom selben Tag. Da wurden am Freitag in Istanbul der ehemalige Chefredakteur Ahmet Altan, sein Bruder Mehmet Altan, die Grand Dame der türkischen Publizistik Nazli Ilicak und die Journalisten Fevzi Yazıcı, Yakup Şimşek und Şükrü Özşengül zu jeweils „erschwerter lebenslanger Haft“ verurteilt.

Ihnen wird vorgeworfen, in den Putschversuch am 16. Juli 2016 verwickelt gewesen zu sein, weil sie angeblich Kontakte zur Gülen-Sekte hatten. Auch gegenüber den weiteren rund 140 türkischen Journalisten, die wegen ihrer kritischen Berichterstattung angeklagt sind und teilweise wie zuvor Deniz Yücel schon über ein Jahr in Untersuchungshaft ausharren müssen, sind keinerlei positiven Signale erkennbar.

Sowohl der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu wie zuletzt auch Ministerpräsident Binali Yıldırım hatten im Vorfeld der Freilassung signalisiert, dass sie „in Kürze“ mit einer positiven Entwicklung rechnen. Yıldırım, der sich gegenwärtig bei der Sicherheitskonferenz in München aufhält, sagte nach der Freilassung, er hoffe, dass damit jetzt „einige Probleme mit Deutschland gelöst sind“.

Tatsächlich war die U-Haft von Deniz Yücel, den Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan im letzten Jahr bereits als „Agenten und Terrorpropagandisten“ vorverurteilt hatte, der türkischen Regierung mehr und mehr zur Last geworden. Die Bundesregierung warnte deutsche Touristen vor Reisen in die Türkei, sorgte in Brüssel dafür, dass die Verhandlungen über eine Ausweitung der Zollunion, auf die die Türkei seit Langem hofft, gestoppt wurden und verhängte auch einen Stopp für Rüstungslieferungen in die Türkei. In Berlin wird nun gerätselt, ob, und wenn ja welche Gegenleistung die Bundesregierung für die Freilassung von Yücel in Aussicht gestellt hat.

Merkel freut sich

Der geschäftsführende Außenminister Sigmar Gabriel (SPD), der die Gespräche mit seinem türkischen Kollegen aber auch mit Präsident Erdoğan geführt hatte, sagte dazu am Freitagnachmittag in Berlin: „Ich kann Ihnen versichern, es gibt keine Verabredungen, Gegenleistungen oder Deals in diesem Zusammenhang.“ Es sei ausschließlich um die Frage gegangen, wie man das Verfahren beschleunigen könne. Deniz Yücel selbst hatte kürzlich in einem dpa-Interview darauf gepocht, dass er nicht aufgrund eines Rüstungsdeals freikommen wolle.

In der Türkei kursierten in den sozialen Medien Vermutungen, die Freilassung könnte ein Gegengeschäft mit der Freilassung eines Erdoğan-Vertrauten in Deutschland sein, der hier im Gefängnis saß. Es wurde auch ein Zusammenhang hergestellt zur Einstellung der Verfahren, die die Bundesanwaltschaft gegen 16 von der türkischen Religionsbehörde Dianet nach Deutschland entsandten Imame wegen Spionage geführt hatte.

Kanzlerin Merkel sagte in ihrer Stellungnahme dazu nur, die Gespräche mit der türkischen Regierung seien offenbar nicht ohne Nutzen gewesen. Ansonsten freue sie sich natürlich über die Freilassung und grüßte Deniz Yücels Frau Dilek und die Familie in Flörsheim, „die ja ein sehr schwieriges Jahr Trennung aushalten mussten“.

Merkel vergaß auch nicht zu erwähnen, dass die Bundesregierung hoffe, dass nach der Freilassung von Yücel nun auch die vielen anderen, weniger prominenten politischen Gefangenen in der Türkei nicht vergessen werden. Eine junge türkische Journalistin, Irem Afsin, twitterte dazu: „Schön, dass Deniz freigelassen wurde. Nun müssen unsere anderen Freunde im Gefängnis nur noch die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen, dann gäbe es auch für sie Hoffnung.“

2018-02-17
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