Auf Istanbuls zentralem Platz wird nächste Jahr eine Moschee eröffnet. Barbetreiber kämpfen schon jetzt mit politisch motivierten Einschüchterungsversuchen
Im Schatten der seit vergangenem Jahr im Bau befindlichen Taksim-Moschee bereiten sich die Bars auf die Samstagnacht vor. Wenn der Bau fertig ist, wird dort eine Moschee mit Platz für 2.575 Personen und Minaretten von 61 m Höhe stehen. Die Eröffnung ist für 2019 geplant. Viele Geschäftsleute fürchten, dass sie durch den Moscheebetrieb an Umsatz einbüßen werden.
Beyoğlu, das Viertel, in dem der Taksim-Platz liegt, ist für Istanbul und die internationalen Besucher zentrale Anlaufstation des Kultur- und Nachtlebens. In den letzten Jahren hat es allerdings erheblich an Attraktivität verloren.
Die Gründe dafür liegen auf der Hand: jahrelange Bauarbeiten an der Infrastruktur, Eingriffe in das historische Straßengeflecht, ein verändertes Besucherprofil und vor allem der Druck, der dort auf bestimmte Gewerbetreibende ausgeübt wird.
Die Straßen am Taksim-Platz sind in der Geschichte der Republik immer wieder zentraler Ort gesellschaftlicher Auseinandersetzungen gewesen. Zu den Kundgebungen am 1. Mai oder dem Pride-Marsch baut die Polizei dort Barrikaden gegen die Demonstranten auf. Einer der Gewerbetreibenden am Taksim ist B. Repressalien von Ordnungskräften und Polizei gegen die Vergnügungsläden seien nicht neu, erzählt er.
Doch in den letzten Jahren, seit den Gezi-Protesten sei der Druck enorm gestiegen. Insbesondere jene Bars und Cafés, die den Gezi-Aktivisten Unterschlupf gewährt, ihre Türen für Personen auf der Flucht vor Tränengas geöffnet und als Krankenstation für verletzte Opfer von Polizeigewalt gedient hatten, seien betroffen. „Die Regierung hat hier ein besonderes 'Interesse’“, erzählt B.
„Als gäbe es eine entsprechende Anweisung, lassen weder Polizei noch kommunale Ordnungskräfte bestimmte Läden nicht in Ruhe. Dafür haben sie verschiedene Methoden. Am häufigsten werden grundlos Strafzettel ausgestellt. Meistens weil Tische und Stühle die Straßen blockieren.“
„Hier in der Gasse gibt es auch andere Bars, die Tische und Stühle vor ihren Türen stehen haben. Aber wenn die Besitzer regierungsfreundlich sind, drücken die städtischen Ordnungskräfte ein Auge zu oder man einigt sich irgendwie anders“, berichtet B. Er sei sogar bereit, eine Gebühr für das Herausstellen von Tischen und Stühlen an die Kommune zu zahlen. Aber ein entsprechender Vorschlag von ihm sei von den Behörden abgelehnt worden.
V., der Besitzer einer anderen Bar, die im vergangenen Jahr mehrfach geschlossen wurde, klagt: „Auf derselben Gasse verkauft eine Shisha-Bar ohne Genehmigung Bier. Es ist unfair, wenn nur ich dichtgemacht werde, weil ich ein paar Tische zuviel draußen habe.“ Betreiber V. meint, dahinter stecke ganz klar eine Einschüchterungspolitik.
Inzwischen müssen einige Bars zu den monatlichen Ausgaben neben Strom und Wassergeld auch das Geld für die Strafen hinzuzählen. Zwar erhalten nicht nur Betriebe eine Strafe, die der Opposition zugerechnet werden, doch diese werden so bestraft, dass vor allem die Hauptgeschäftstage von Schließungen betroffen sind.
Bestraft werden die Barbetreiber auch, wenn im Innenraum geraucht wird, Unterlagen fehlen, eine Gasmaske aus der Zeit der Gezi-Proteste aufbewahrt oder eine LGBTI-Fahne aufgehängt ist. H., ein anderer Bar-Betreiber weist darauf hin, dass auch Betriebsprüfungen als Strafmittel benutzt werden: „Wir haben noch nicht erlebt, dass regierungsnahe Betriebe geprüft werden. Im Gegenteil, wir wissen genau, dass der Bürgermeister von Beyoğlu, Ahmet Misbah Demircan, in diese Läden geht und mit den Betreibern plaudert.“
Manche Betriebsinhaber schauen sich bereits fern vom Taksim-Platz, am Tünel oder im Viertel Galata, nach neuen Läden um. Die gestiegene Nachfrage ließ dort allerdings schon die Immobilienpreise in die Höhe schnellen.
H. ist einer von den Barbetreibern, der meint, die Moscheeeröffnung werde sich nicht negativ auf Betriebe auswirken, die eine Genehmigung zum Alkoholausschank hätten. Er verweist auf das Gesetz über den Abstand, der zu Betrieben mit Spirituosenverkauf einzuhalten sei. Demzufolge müssen Alkoholverkaufsstellen mindestens 100 Meter Distanz zu Schul- und Bildungseinrichtungen, Nachhilfeinstituten, Schüler- und Studentenwohnheimen sowie Gebetsräumen halten.
Für Betriebe mit Tourismuszertifikat gelte diese Einschränkung gar nicht. Die Genehmigung für Alkoholausschank muss jedes Jahr erneuert werden. In der im Ausnahmezustand per Dekret regierten Türkei sind Gesetze aber möglicherweise nur bis zum Erlass des nächsten Dekrets gültig. Als wir ihn daran erinnern, sagt B.: „Wenn die Genehmigungen wegen der Moschee entzogen werden, muss die Stadt mit jedem hier vor Gericht. Das werden sie nicht riskieren.“
Deniz Özgür von der Bürgerinitiative Stadtverteidigung Beyoğlu ist nicht so optimistisch wie B.. Er meint, mit der Taksim-Moschee werde sich Beyoğlu stark verändern. Laut Özgür ist Beyoğlu für die Regierung ein Eroberungsgebiet und die Moschee der letzte Stein der Eroberung: „Der Wandel in Beyoğlu ist kein Zufall. Er ist Resultat sozialer und politischer Manipulation. Das lässt sich am Atatürk-Kultur-Zentrum, am Gezi-Park und zuletzt am Moscheeprojekt ablesen.“
Özgür beschreibt Beyoğlu als „von der Basis der Regierung konsolidierten Ort“. Möglicherweise gebe es schon bald keinen Alkoholausschank mehr im Bezirk. Wenn die Machthaber es wollten, könnten sie problemlos festlegen, den Abstand zu Spirituosenverkaufsstätten auf 500 Meter auszudehnen. „Wir sehen in den Gassen bereits Locations, die den Erwartungen der Moscheebesucher entsprechen.“
Er meint, die Moschee werde nicht nur die Straßen, sondern auch den Platz verändern: „Der Eingang zur Moschee liegt seitlich, aber der Taksim-Platz, der ja Symbolcharakter für die Opposition hat, wird zum Moscheepark.“ Wird es an Freitagen, während des Ramadan oder an Feiertagen in und an der Taksim-Moschee Massengebete geben?
„Ja“, sagt Özgür, „Taksim wird zu einem Platz, wo Erdoğan nach dem Gebet Kundgebungen abhalten wird.“ Seiner Meinung nach besteht das Hauptproblem in dem Kleid, das der Staat für Beyoğlu zu schneidern versucht, und in der Manipulation der DNA des Bezirks. Ohne staatliche Einmischung, meint Özgür, würde die Bevölkerung aus diesen Angelegenheiten kein Problem machen.
*Die Namen der Personen wurden geändert.
Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe