Als trans Frau sind Gänge zum Amt in der Türkei unberechenbar. Doch manchmal hat man Glück und begegnet einem höflichen Polizisten.
Die Oktobermorgen in Berlin sind kühl und melancholisch. Bei Kaffee, Zigarette und einem alten Lied von Sezen Aksu schweifen meine Gedanken in alte Zeiten. Von den wenigen schönen Erinnerungen aus jenen schweren Jahren in Istanbul fehlt mir am meisten Hatıra. Fast sieben Jahre lang habe ich mit meiner Hati zusammengelebt.
Früher wohnte ich in Şişli im Istanbuler Westen. Als der Bürgermeister von Şişli plante, alle trans Frauen aus dem Stadtteil zu vertreiben, protestierte ich mit anderen dagegen – und wurde dafür von meinem Vermieter vor die Tür gesetzt. Zur selben Zeit gab es im Stadtteil Avcılar eine große Siedlung, in der viele trans Frauen lebten, wo es ähnliche Pläne gab. Mit Unterstützung der Polizei griffen Faschisten ein Haus an und setzten es in Brand. Ich protestierte in Avcılar mit. Als ich dort erzählte, dass ich gerade obdachlos geworden war, fanden die Mädels schnell eine kleine Wohnung für mich. So wurden Hati und ich Mitbewohnerinnen und beste Freundinnen.
Wir waren wie Tag und Nacht. Hati war eine schöne, sexy Frau. Während ich mich nach einer Beziehung sehnte, war sie immer von Männern umringt und nahm doch keinen von ihnen ernst. Ich schrieb Artikel, Hati kochte gutes Essen. Aber weil sie ständig auf Diät war, blieb das ganze Essen für mich.
Manchmal langweilten wir uns in den langen, bedrückenden Istanbuler Nächten. Dann stiegen wir in Hatis Auto und tourten um den Bosporus. Das sind meine schönsten Erinnerungen aus jenen Jahre, die ich vor allem in Polizeibehörden, Krankenhäusern, Leichenhallen und Gerichtssälen verbracht habe.
Eines Tages ging ich mit Hati zum Amt. Wir wollten Hati einen Reisepass beantragen. Sie war traumatisiert und überließ in öffentlichen Einrichtungen lieber mir das Sprechen. Ein alter Polizeibeamter rief uns zur Bearbeitung an seinen Tisch. Er redete sehr laut. Name, Alter, Herkunft fragte er ab, irgendwann hielt ich es nicht mehr aus und sagte: „Ich bitte Sie, alle erforderlichen Dokumente liegen doch vor Ihnen. Warum fragen Sie das alles noch einmal?“ Er schaute uns eine Weile wortlos an. Er war ein höflicher Herr.
Als er dann aber wieder laut „Beruf“ sagte, rastete Hati aus und rief mitten im Polizeipräsidium: „Ich bin eine Hure, ayol. Ich schaffe an.“ Auf einmal war es im Raum vollkommen still, um uns herum Hunderte Polizisten. Mein Herz blieb stehen. Istanbuler Bullen sind unberechenbar. Doch dann sagte der alte Herr mit verschämtem Lächeln: „Es tut mir leid.“ Wir so: Schock. Er machte seine Arbeit fertig und blieb höflich, als seien wir in Skandinavien oder so.
Letzten Sommer rief mich Hati eines Nachts an und schluchzte. Monate waren vergangen, seit ich Istanbul verlassen hatte, aber ich glaube, sie begriff erst jetzt, dass ich nicht zurückkommen würde. Ich konnte kein Wort sagen. Ich hörte nur zu und weinte leise. Irgendwann legte sie auf. Und ich blieb allein in der Dunkelheit der Nacht zurück.