Die türkische Botschaft entscheidet, welche Landesmedien am Freitag aus dem Kanzleramt berichten dürfen. Die Opposition spricht von einer Farce.
BERLIN taz | Eigentlich wollte Aziz Kocyigit am Freitag aus dem Kanzleramt berichten. Kanzlerin Angela Merkel und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan werden dort am Mittag eine Pressekonferenz geben, Kocyigits Leser wird das sicherlich interessieren. Das Problem ist nur: Aller Voraussicht nach kommt der Journalist aus Gummersbach nicht rein. Für den Termin in der Regierungszentrale hat er keine Akkreditierung.
Kocyigit arbeitet als Europakorrespondent für die Tageszeitung Evrensel. Das linke Blatt aus Istanbul ist eine der letzten oppositionellen Zeitungen, die in der Türkei überhaupt noch erscheinen dürfen – auch wenn die Behörden wegen kritischen Artikeln gegen mehrere Redaktionsmitglieder ermitteln.
Am Montag schrieb Kocyigit an die Medienbetreuung des Bundespresseamts. Fristgerecht beantragte er Zugang zur Pressekonferenz am Freitag um 12:30 Uhr. „Vielen Dank für Ihr Interesse“, antwortete das Presseamt nach einer Stunde. „Doch leider müssen Sie sich – als türkisches Medium – an die türkische Botschaft wenden. Die Botschaft erhält ebenfalls Zusatzausweise und verteilt diese dann an türkische Medien.“
Die türkische Botschaft entscheidet, welche türkischen Medien von vor Ort berichten dürfen? Pascal Thibaut wundert sich darüber. Der Radiokorrespondent aus Frankreich ist Vorsitzender des Vereins der ausländischen Presse in Deutschland. Dass bei Staatsbesuchen nicht das Bundespresseamt, sondern die Botschaft des Gastes darüber entscheidet, wer aus dem Kanzleramt berichten darf, hat er noch nie erlebt. „Wenn diese Info stimmt ist es erstaunlich und zu verurteilen, dass die Kollegen sich nicht über den gängigen Weg akkreditieren dürfen“, sagt er.
Auch Yücel Özdemir hält die Akkreditierungspraxis für ungewöhnlich. Wie Kocyigit arbeitet er aus Deutschland für Evrensel und sagt: „Ich habe schon oft von Erdoğan-Besuchen in Deutschland berichtet, das letzte Mal beim G20-Gipfel in Hamburg. Die Akkreditierung lief immer über das Bundespresseamt.“
Die Behörde selbst spricht dagegen von „international praktizierten Standards“. Über die Akkreditierungen zum Staatsbesuch an sich dürfe die türkische Botschaft nicht entscheiden. Bei der Pressekonferenz, die im weitläufigen Pressefoyer des Kanzleramts stattfindet, komme es aber „aufgrund räumlicher Gegebenheiten zu einer Zulassungsbegrenzung“. In solchen Fällen fahre man zweigleisig.
Das Bundespresseamt entscheide, welche Journalisten aus Deutschland reindürften. „Maßgeblich für die Verteilung hier ist der Verbreitungsgrad und die Reichweite der Medien“, sagte eine Regierungssprecherin der taz. Ins deutsche Kontingent dürften auch Journalisten, die „der türkischen Regierung kritisch gegenüber stehen, allerdings für deutsche Medien tätig sein müssen“. Die restlichen Zugangskarten gingen dann an den Gast, der „die Verteilung nach den jeweiligen nationalen Poolmechanismen“ regele.
Deswegen also sollte sich Kocyigit, der zwar Deutscher ist, aber für die türkische Evrensel arbeitet, an die Botschaft wenden. Darauf verzichtete er jedoch. „Das wäre umsonst gewesen“, sagt er. „Wir sind eine oppositionelle Zeitung. In der Türkei gibt uns die Regierung überhaupt keine Akkreditierungen mehr.“
Die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen (Linkspartei) hätte sich vom Bundespresseamt mehr „politisches Fingerspitzengefühl“ gewünscht. „Evrensel ist neben Birgün die einzig verbliebene oppositionelle Tageszeitung in der Türkei. Deren Korrespondenten an die türkische Botschaft zu verweisen, damit sie für die Berichterstattung über Erdogans Pressekonferenz im Kanzleramt zugelassen werden, ist eine Farce“, sagt sie. „Das Bundespresseamt darf sich an der Ausgrenzung kritischer türkischer Medien nicht beteiligen und ist daher aufgefordert, die Evrensel zum Termin zu akkreditieren.“
Aziz Kocyigit will noch einen letzten Versuch starten. Er ist am Donnerstag nach Berlin gefahren und will am Freitagvormittag persönlich beim Bundespresseamt vorsprechen. Viel Hoffnung auf Erfolg, sagt der Journalist, habe er inzwischen aber nicht mehr. Ins Kanzleramt komme er wohl nicht.