Am 6. April nimmt der neue Flughafen in Istanbul seinen Regelbetrieb auf.
Mit Grafiken, Videos, Reportagen und Interviews beleuchtet taz gazete die Folgen des Megaprojekts für Menschen, Umwelt und Wirtschaft.

Lesen Sie mehr unter
taz.atavist.com/istanbul-flughafen

Geschmacklos: Szenen vom roten Teppich auf der Filmgala in Istanbul

Mit Nazikostüm auf dem roten Teppich

Bei einer Filmgala in Istanbul wurde eine Attrappe eines KZs aufgebaut. Das sorgt nach dem Jahrestag der Befreiung von Auschwitz für einen Skandal in der Türkei.

SERDAR KORUCU, 2019-02-01

In der Türkei sorgten verstörende Bilder von einer Filmgala in Istanbul am Jahrestag der Befreiung von Auschwitz in den sozialen Medien für einen Skandal. Denn bei der Eröffnungsgala zu dem Film „Çiçero“ am 18. Januar, der von einem Spion handelt, der im Zweiten Weltkrieg in Ankara lebt, war auf dem roten Teppich als Dekoration eine Nachbildung eines Konzentrationslagers aufgebaut.

Im Blitzlichtgewitter liefen die Stars in Abendkleidern vor einem Stacheldraht auf, an dem ein Schild mit der Aufschrift „Achtung“ hing. Ein Schauspieler kam mit Nazikostüm und Schäferhund. Und um das Bild zu vervollständigen, wurden als Attrappe die Sachen derer angehäuft, die im Konzentrationslager umgebracht wurden; darunter Kinderspielsachen.

Die verstörenden Bilder von dieser Gala wurden am Jahrestag des Befreiung von Auschwitz am 27. Januar in den sozialen Medien geteilt und scharf kritisiert. Die türkische jüdische Gemeinde schrieb in einer Mitteilung auf ihrem offiziellen Account an das staatliche Bildungsministerium und den Bildungsminister Ziya Selçuk: „Deshalb sollte unser einziger Weg heraus unbedingt Bildung sein“.

Der Zweite Weltkrieg und der Holocaust kamen im türkischen Bildungssystem bis vor wenigen Jahren zu kurz. Auch wenn das Thema seit einigen Jahren im Unterrichtsfach „Zeitgenössische Geschichte der Türkei und der Welt“ behandelt wird, ist es in der Türkei bis heute ein großes Problem, dass es in der Gesellschaft kein Bewusstsein für das Ausmaß des Holocaust gibt.

Was in der Türkei gesagt werden kann

Nach dem Putschversuch am 15. Juli 2016 kam von Regierungsvertretern die Äußerung „Neben FETÖ stünden die Nazis wie Lehrlinge da“. In der Opposition ist die Lage nicht anders. Dem CHP-Vorsitzenden Kemal Kılıçdaroğlu zufolge ist die Türkei im Jahr 2010 fast so wie Deutschland in den 1940ern. Nach seinem Geschichtsverständnis hat nicht der Sieg der Sowjetunion in Stalingrad Hitler das Ende bereitet, sondern die Deutschen selbst. Es gibt eine Erklärung von Kılıçdaroğlu, in der er sagt: „Wenn wir davon sprechen, dass wir dieses System ändern werden, meine ich damit: Wir werden es so zerstören, wie die Deutschen das Hitler-Regime zerstört haben.“

Auf der anderen Seite können einige Intellektuelle, die die Türkei verlassen und in den Westen gehen oder der Weltöffentlichkeit das Unbehagen an der türkischen Regierung mitteilen wollen, ohne Probleme sagen, dass sie sich „wie ein Jude in Nazi-Deutschland fühlen“. Es ist also möglich, dass sie die Lage in der Türkei mit einem Regime vergleichen, das Millionen von Menschen in Konzentrationslagern umgebracht hat.

Nach den Reaktionen auf die Filmgala entschuldigte sich der Produzent von „Çiçero“, Mehmet Uslu bei der jüdischen Gemeinde mit den Worten: „Wir haben dieses Bühnenbild aufgebaut, um die Gäste in die Atmosphäre des Films einzustimmen.“ Dieses Statement drückt aus, dass es in der Türkei kein ernsthaftes Bemühen darum gibt, sich mit Antisemitismus auseinanderzusetzen.

Warum konnte die Schwere und das Ausmaß des Holocaust in der Türkei nicht vermittelt werden? Dass die 1978 gedrehte Serie „Holocaust“, die weltweit für Aufsehen sorgte, in der Türkei nicht ausgestrahlt wurde, kann uns einen Anhaltspunkt geben. Der berühmte Schauspieler Haldun Dormen schrieb damals in einer Kolumne in der Milliyet: „Diese Serie kann problemlos in der Türkei als einem Land, das nicht am Krieg teilgenommen hat und nicht Zeuge der Hölle in den Nazi-Lagern geworden ist, gezeigt werden.“ Aber „warum auch immer, bei uns wurde sie im Handumdrehen zensiert.“

Der Grund für die offizielle Erklärung des türkischen Staatssenders TRT, derzufolge die Ausstrahlung der Serie auf unbegrenzte Zeit verschoben wurde, war, dass „die Lage, in der sich die Türkei heute befindet“, für eine solche Serie nicht geeignet sei. Denn in dieser Zeit mehrten sich die Diskussionen über den Völkermord an den Armenier*innen. Und Ankara war weit davon entfernt, sich mit einem Völkermord auseinanderzusetzen – nicht nur dem Genozid an den Armenier*innen, sondern jedem. Das traf auch auf den Holocaust zu, für den mit Deutschland ein früherer Verbündeter der Türkei verantwortlich war.

SERDAR KORUCU, 2019-02-01
ZURÜCK
MEHR VOM AUTOR