Oppositionellen Medienschaffenden bleibt oft nur das Internet. Doch auch hier wird gezielt Hass und Rassismus gegen sie eingesetzt.
Laut des jährlich veröffentlichten Press Freedom Index von Reporter ohne Grenzen ist die Türkei im Ranking um Pressefreiheit seit dem vergangenen Jahr von Platz 151 auf 155 gerutscht. Mehr als 160 Journalist*innen befinden sich derzeit in Haft, die Zahl steigt kontinuierlich. Aus Regierungskreisen heißt es, die inhaftierten Journalist*innen seien in Wirklichkeit keine Journalisten, sondern „Staatsverräter“ und würden sich nur deshalb in Haft befinden. Während Rassismus und Hassreden sich in den türkischen Mainstream-Medien ausbreiten, erscheint der juristische Kampf dagegen, angesichts der aktuellen Diskussion um die Unabhängigkeit der Gerichte, aussichtslos.
Yasemin Giritli İnceoğlu ist emeritierte Professorin für Publizistik und gehört zu den hervorstechenden Stimmen, die sich gegen Hass in den Medien einsetzen. Ein Gespräch über Verbindungen zwischen Regierung und Medienkonzerne, journalistischen Nachwuchs und die alternative Medienlandschaft in der Türkei.
Yasemin Giritli İnceoğlu: In der Türkei sind hochrangige Regierungsmitglieder und Personen des öffentlichen Lebens besonders dafür bekannt, den Hass in der Gesellschaft zu schüren. Zumindest steht das im Bericht der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz des Europarats. Weiterhin steht in dem Bericht, dass ein Großteil der Straftaten, die aufgrund von Hassrede und Rassismus begangen werden, nicht angezeigt werden. Die zur Anzeige gebrachten Straftaten wiederum werden nicht verurteilt.
Journalist*innen, die für alternative Medien arbeiten, sowie Autor*innen und Karikaturist*innen werden im Netz oft angegriffen und von staatlichen Stellen, als Staatsverräter und Terrorist verunglimpft. Dabei wurde in den meisten Fällen der aktuellen Inhaftierungen noch nicht einmal eine Anklageanschrift formuliert. Aus demokratischer Sicht ist das ein gravierendes Problem.
Transparenz kann in einer demokratischen Gesellschaft nur dann gewährleistet werden, wenn das Recht auf Information, die Informationsfreiheit und der Auskunftsanspruch funktionieren und ineinander greifen. Politiker*innen sind verpflichtet sich der Kritik der Presse, der Bevölkerung und von politischen Gegner zu stellen. Die Presse hat die Funktion, die Regierenden zu beobachten, sie zu hinterfragen und zu kritisieren. In der Türkei ist es allerdings so, dass eine Vielzahl der Medien und die Regierung im Gleichschritt marschieren. Als Stimme und Gewissen der Öffentlichkeit ist sie kaum vernehmbar. Im Grunde genommen kann die Presse ihrer Funktion nicht nachkommen.
Sie sind leider sehr pessimistisch. Die meisten versuchen ihr Glück in den Bereichen Öffentlichkeitsarbeit, Werbung und PR oder streben eine akademische Laufbahn in den Kommunikationswissenschaften an. Journalist*in zu werden, ist für idealistische Studierende über kurz oder lang ein hoffnungsloser Weg. Sie wissen, dass sie aufgrund von Zensur oder Selbstzensur nicht angemessen und frei berichten werden können. Zudem ist das derzeitige soziale Klima nicht gerade förderlich für die Motivation der Journalismus-Anwärter*innen. Journalist*innen werden zur direkten Zielscheibe anderer Journalist*innen und Politiker, sie werden bedroht, verteufelt, aus ihrem Job vertrieben, unter Polizeiaufsicht gestellt und inhaftiert.
In der Türkei werden wir oft Zeugen davon, dass allein die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppierung ausreicht, um jemanden zu diskriminieren. Auf diese Weise kann die Gruppe, die den Hass produziert, Macht und Größe demonstrieren.
Soziale Medien bieten jenen, die von den traditionellen und Mainstream-Medien kaum beachtet werden einen Raum für kollektive Zugehörigkeit, Solidarität und Identitätssuche. Allerdings führen die Möglichkeiten der schnellen Verbreitung von Informationen und der Interaktion dazu, dass Vorurteile und negative Denkschablonen die Hassrede und den Hass normalisieren, bagatellisieren und verfestigen, und darüber hinaus sich die „digitale Gewalt“ multipliziert.
Nationalistische und rassistische Motive finden in den sozialen Medien einen leicht zugänglichen Resonanzraum, der nicht von der Individualität, sondern von der Kollektivität der Tat lebt. Die Intoleranz gegenüber „Anderen“ wird bestimmt durch eine Schar von „Hooligans“, deren Hass sich nicht unbedingt systematisch, geplant und vorprogrammiert entlädt, sich aber oftmals in eine Lynchkampagne wandeln kann.
Sie versuchen zumindest der einseitigen Berichterstattung defizitär entgegenzutreten und marginalisierten Gruppen eine Stimme zu geben. Das sind zuweilen radikale, anarchistische, antiautoritäre, antihirarchisierende Nachrichten mit Non-Profit-Gedanken, die in den alternativen Medien eine Verbreitungsform finden.
Der Leitsatz der alternativen Medien, „Eine andere Welt ist möglich“, ist essenziell. In diesem Slogan steckt Widerstand und die Message, dass es eine Unzufriedenheit mit der bestehenden Medienlandschaft und ihrer Berichterstattung gibt. Dieser Slogan birgt die Hoffnung, dass die alternative Berichterstattung andere Möglichkeiten bietet, um den gewaltverherrlichenden Darstellungen in den Medien etwas entgegenzusetzen.
Um die Medienkompetenz zu stärken, wären vielerorts Schulungen für Nutzer*innen aller Milieus und Altersgruppen von neuen Medien gegen Hassrede und Diskriminierungen nötig. Ein schnell funktionierendes Meldeverfahren, welches im Falle einer gemeldeten Hassbotschaft reagieren kann, müsste noch entwickelt werden.