Seit zwei Wochen ist die Journalistin nicht mehr in Haft. Ein Gespräch über den ersten Abend in Freiheit, die deutsch-türkischen Beziehungen und Kuchen im Knast.
Die Frau: Die in Ulm geborene Journalistin und Übersetzerin Meşale Tolu arbeitet für die Nachrichtenagentur ETHA in Istanbul. Am 30. April drang eine Anti-Terror-Einheit in ihre Wohnung ein und verhaftete sie mit ihrem zweijährigen Sohn. Ihr wird Terrorpropaganda und Mitgliedschaft in einer Terrororganisation vorgeworfen.
Der Prozess: Am 11. Oktober begann der Prozess gegen Tolu. Am 18. Dezember wurde sie nach der zweiten Anhörung aus dem Frauengefängnis Bakırköy entlassen, darf aber die Türkei nicht verlassen. Ihr nächster Prozesstermin ist Ende April 2018.
taz am wochenende: Frau Tolu, wie haben Sie den ersten Abend in Freiheit verbracht?
Meşale Tolu: Mit meinem Sohn und meinem Mann. Als ich die beiden endlich wiederhatte, war ich sehr glücklich. Aber auch angespannt, irgendwie beides, die ganze Nacht über.
War das Gefühl von Freiheit sofort da?
Im Knast herrscht eine strenge Ordnung, da war es schon schwer, die ersten beiden Tage ohne eine solche Struktur zu verbringen. Jetzt stehe ich wieder ganz normal im Leben.
Bei Ihrer ersten Anhörung am 11. Oktober entschied der Richter, Sie nicht freizulassen. Haben Sie damit gerechnet, dass er Sie bei der zweiten Anhörung freilassen wird?
Wir wissen ja, dass die Rechtsordnung in der Türkei nicht immer funktioniert, deswegen habe ich nicht mit einer Freilassung gerechnet und mich dann sehr gefreut.
Zwischen dem Beschluss des Richters und Ihrer Freilassung gab es einige Stunden Verwirrung darüber, wo Sie waren. Es gab Gerüchte, Sie seien erneut festgenommen worden und sollten abgeschoben werden. Was passierte da?
Zurück im Gefängnis habe ich meine Sachen gepackt. Nachdem ich den Haftentlassungsbescheid schon unterschrieben hatte, wurde mir ein zweites Dokument gebracht, auf dem es hieß, ich müsse mich der Polizei stellen. „Abschiebung?“, fragte ich. Aber der Anstaltsleiter verneinte. Doch dann tauchten dieselben drei Männer von der Antiterroreinheit auf, die mich in meiner Wohnung verhaftet hatten. Ich spürte, dass etwas faul war. Sie stopften mich in einen Wagen und sagten mir, dass ich jetzt abgeschoben werden soll.
Es gab also neben dem richterlichen Beschluss eine andere polizeiliche Anordnungen?
Ja. Die Polizei wollte mich abschieben und brachte mich zur Polizeiwache in Ataköy. Die wollten mich aber nicht aufnehmen, weil sie keinen Platz hatten. Dann haben Sie mich auf die Polizeiwache von Fatih gebracht. Dort gab es eine Diskussion, ob ich nun abzuschieben oder freizulassen sei. Am Ende entschieden sie dann, dass der richterliche Beschluss der Freilassung entscheidend sei. Ich durfte gehen.
Wären Sie lieber abgeschoben worden?
Mit einem gerichtlichen Ausreiseverbot hatte ich sowieso gerechnet. Mein Mann hatte bei seiner Freilassung auch diese Auflage bekommen. Deswegen dachte ich, wenn ich jetzt abgeschoben werde, ist unsere Familie schon wieder getrennt. Natürlich wäre es nicht unangenehm, nach Deutschland zurückzukehren, es ist ja meine Heimat. Wenn es das Ausreiseverbot nicht gäbe, würde ich am liebsten zwischen Deutschland und der Türkei pendeln.
Was war Ihr schönstes Erlebnis in den acht Monaten im Gefängnis?
Als nach zwei Monaten Haft die ersten Postkarten kamen. Ich habe sie alle aufbewahrt und immer bei mir. Die meisten kamen von Frauen. Und mein Geburtstag am 9. Dezember, als die anderen Frauen in meiner Zelle – es waren etwa 20 – eine Party für mich organisiert und dazu einen riesigen Kuchen gebacken haben. Wie sie an die Zutaten dafür gekommen sind, weiß ich bis heute nicht. Die Frauensolidarität war das Wichtigste für mich, um diese Zeit heil zu überstehen. Es gab Lesekreise und Diskussionen, ich hab sogar Englischunterricht gegeben, andere haben Gitarre gelernt und einmal im Monat haben wir zusammen gesungen und gefeiert.
Wie schwierig war es für Ihren Sohn im Gefängnis?
Serkan wusste schon vorher, was für ein Ort das Gefängnis ist, da wir seinen Vater dort besucht hatten. Er hat zwar nicht verstanden, warum wir da sitzen, aber er hat verstanden, wie es läuft, dass die Türen auf- und wieder abgeschlossen werden, dass es feste Regeln gibt und nichts zu spielen. Wir haben uns immer gefragt, wie wir ihn fröhlich machen können. Aber natürlich ist ein Gefängnis kein Ort, an den sich Kinder gewöhnen können.
Hat die Bundesregierung Sie hinreichend unterstützt?
Im ersten Monat nach meiner Verhaftung haben diplomatische Vertreter vergeblich versucht, mich zu kontaktieren. Nach vier Wochen durften sie zu mir. Seither hatte ich regelmäßig Besuch von Konsulatsmitarbeitern. Auch der deutsche Botschafter Martin Erdmann kam zweimal. Die Bundesregierung hat mich die ganze Zeit über unterstützt, und ich denke, wenn der Botschafter sich am Abend meiner Haftentlassung nicht so beharrlich bemüht hätte, wäre ich sicher für ein paar Tage in irgendeiner Polizeizelle gelandet.
Die Bundesregierung behauptet, der deutsche Menschenrechtsaktivist Peter Steudtner kam durch Vermittlung des ehemaligen Kanzlers Gerhard Schröder frei. Glauben Sie, eine solche Vermittlung hat es auch in Ihrem Fall gegeben?
Manche Leute haben sich gewünscht, dass die Bundesregierung etwas in die Waagschale wirft, um mich den türkischen Behörden zu entreißen. Aber über diplomatische Gespräche weiß ich nichts. Angeblich war Schröder im September in der Türkei. Meine erste Verhandlung war am 11. Oktober, aber ich wurde nicht entlassen. Da scheint es also keine Vermittlung gegeben zu haben.
Es gibt Anzeichen, dass sich das Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei entspannt. Wenn jetzt noch Deniz Yücel freikommt, wird dann zwischen den Ländern alles wieder gut?
Da bin ich mir nicht sicher. Erdoğan hat am vergangenen Mittwoch moderate Töne angeschlagen. Aber lösen sich die Probleme, bloß weil man Journalisten freilässt? Die drei genannten Namen sind die bekanntesten, aber es gibt noch andere Inhaftierte und viele weitere Deutsche, die die Türkei nicht verlassen dürfen. Die beiden Seiten fassen einander jetzt zwar sanfter an. Wir müssen aber erst sehen, was mit Deniz wird. Er hat immer noch keine Anklageschrift. Vor ein paar Tagen wurde per Dekret die Einheitskleidung für politische Gefangene beschlossen. Damit wird den Inhaftierten ihre Identität und ihre Würde genommen. Politisch gesehen ist also nichts sanfter und moderater geworden, im Gegenteil. Es wird vielleicht alles noch härter.
In einem Interview mit Ihrer Agentur Etha sagten Sie, dass es ohne die große Öffentlichkeit für Deniz Yücel vielleicht nicht gelungen wäre, Öffentlichkeit für Ihren eigenen Fall zu schaffen. Was können wir für die anderen Journalisten in türkischen Gefängnissen tun?
Ich habe viel Unterstützung von meiner eigenen Gruppe und der Initiative #FreeDeniz bekommen. Solidarität ist unheimlich wichtig, um emotional belastbar zu bleiben – und das gilt für alle Journalisten: Schreiben Sie weiter über die inhaftierten Journalisten. Dann spüren sie, dass sie nicht umsonst da sitzen. Großartig war, dass sich meine Lehrer in Ulm an mich erinnerten! Vor zwölf Jahren habe ich die Schule dort verlassen und jetzt haben sie sich alle für mich eingesetzt. Dafür bin ich wahnsinnig dankbar und allen anderen Freunden und Familienangehörigen aus Ulm auch. Ich würde jeden einzelnen Ulmer am liebsten in den Arm nehmen.
Erwarten Sie am Ende Ihres Prozesses einen Freispruch?
Weder die anonyme Zeugenaussage noch andere Beweismittel können die schwerwiegenden Vorwürfe gegen mich unterfüttern. Beim nächsten Verhandlungstag werden wir eine Aufhebung des Ausreiseverbots beantragen. Alle Vorwürfe gegen mich beziehen sich auf Ereignisse, die mindestens zwei Jahre her sind: die Teilnahme an Begräbnissen und Gedenkveranstaltungen. Das hat bis zum April diesen Jahres niemanden interessiert. Daher denke ich, die Verhaftung hat mit meiner Arbeit für Etha zu tun.
Bis zu Ihrer nächsten Anhörung werden Sie wohl in der Türkei bleiben müssen. Wie werden Sie diese Zeit verbringen?
Es gibt schwerwiegende Vorwürfe gegen mich und ich muss mich vor Gericht verantworten und verteidigen. Auch stehe ich unter Auflagen. Aber ansonsten mache ich da weiter, wo ich vor meiner Verhaftung stand. Nur dass eben die Vorbereitung der Gerichtsverhandlungen hinzugekommen ist. Und da heißt unser Ziel: Freispruch.
Angesichts der Lage in der Türkei schwindet der Unterschied zwischen Journalismus und Aktivismus. Was entgegnen Sie Leuten, die Sie als Aktivistin bezeichnen?
Ich bin nicht nur Journalistin und Übersetzerin. Es hat klare Gründe, warum ich mich für die Mitarbeit an einem sozialistischen Medium entschieden habe. Zu Unrecht kann ich nicht schweigen. Wenn ich für meinen Sohn eine gute Welt will, dann muss ich das für alle Kinder wollen. Wenn diese Perspektive unter Aktivismus fällt, dann ist jeder Mensch mit einem Gewissen ein Aktivist. Für manche Menschen ist Journalismus lediglich ein Beruf. Sie begreifen ihn wie eine Schürze, die man nach Feierabend wieder auszieht. Für mich ist das anders.
Übersetzung Oliver Kontny