Das Europäische Parlament lud türkische Journalisten ein, um über Auswege für die Pressefreiheit zu diskutieren. Viele Gäste fragten sich, was das bringt.
Es ist wie ein langwieriges und kräftezehrendes Beziehungsdrama. Eigentlich weiß man, dass man zusammengehört. Gleichzeitig hat man immer das Gefühl, auf der Stelle zu treten. Aber man sucht weiter nach Wegen, damit es doch irgendwie funktioniert.
An ein solches Beziehungsdrama erinnert die unglückliche Geschichte der EU-Türkei-Beziehungen, und erinnerte auch das Treffen von EU-Offiziellen mit kritischen türkeistämmigen Journalisten im Brüsseler Europaparlament am 3. und 4. Mai zum Internationalen Tag der Pressefreiheit. Unter dem Motto „Die Situation der Medien und der Meinungsfreiheit in der Türkei“ lud das Europaparlament zusammen mit der Europäischen Kommission zu einer Konferenz, an der auch zahlreiche internationale Gäste aus Presse, Rundfunk und Zivilgesellschaft teilnahmen.
Zahlreiche big names der türkischen, kritischen Öffentlichkeit kamen, darunter der Gazete Duvar-Kolumnist İrfan Aktan, der auch für taz gazete schreibt, die freien Journalsitinnen Mehveş Evin und Amberin Zaman oder eher ambivalente Figuren wie Yavuz Baydar, ehemaliger Autor der Gülen-nahen Todays Zaman und Mitbegründer der Internetplattform P 24. Als Gastgeber sprachen Kati Piri, die Türkei-Berichtertstatterin des Europäischen Parlaments, Antonio Tajani, der Parlamentspräsident sowie Johannes Hahn, EU-Kommissar für Europäische Nachbarschaftspolitik.
Von Anfang an ging es bei der Zusammenkunft zur Sache. Und die Anspannung hielt sich über alle vier Panels hinweg – trotz des Ortes der Diplomatie, der wohl kühlere Sprecharten gewohnt ist. Die bekannte Fernsehmoderatorin Nevşin Mengü machte lauter Stimme deutlich, dass es derzeit nichts zu beschönigen gebe, wenn man von „Pressefreiheit“ in der Türkei spricht: „Wenn ich mit Menschen spreche, die zur Türkei forschen, dann sagen viele: Das ist nur eine Phase, sie wird vorübergehen. Lassen Sie mich Ihnen sagen: Das wird es nicht.“ Ihre fatalistische Einschätzung begründete die Journalistin damit, dass es vor 15 Jahren Institutionen in der Türkei gegeben habe, auf die man sich noch irgendwie verlassen konnte, die es heute so aber nicht mehr gebe.
Der Ausweg aus der derzeitigen Situation sei deshalb alles andere als leicht. Auf die Leitfrage der Konferenz, wie Institutionen der EU auf der Suche nach dem Ausweg helfen könnten, sagte sie: „Kritik reicht nicht, kritische Berichte befreien keine Menschen. Was wir brauchen sind politisch zielgerichtete, international koordinierte Handlungen, konkrete Schritte.“
Mengü hatte im September ihre Stelle bei CNN Turk als Nachrichtenmoderatorin verloren, nachdem sie ein Tweet über ein Treffen zwischen dem türkischen Staatspräsidenten Erdoğan und dem amerikanischen Präsidenten Trump abgesetzt hatte. Jetzt moderiert sie eine wöchentliche, politische Talksendung beim türkischen Service der Deutschen Welle (DW) und schreibt Kolumnen für die unabhängige Zeitung Birgün.
Der Journalist Irfan Aktan stellte dagegen die Frage der Repräsentation. Unter den Diskutanten der vier Diskussionen waren keine kurdischstämmigen Journalisten zu finden. Dabei seien gerade sie es, die besonders unter Repressionen zu leiden haben: „Kurdische Journalisten sind entweder im Gefängnis oder im europäischen Exil.“
Die gekommenen Journalisten und Brüsseler Politiker waren sich zumeist einig über die Lage in der Türkei, viele Gäste aus der Türkei ärgerten sich allerdings über die Ansprache von Javier Niño Pérez, einem Vertreter des Europäischen Auswärtigen Dienstes. Perez betonte immer wieder, man müsse die Sicherheitsbedenken der Türkei nach dem vereitelten Militärputsch im Juli 2016 verstehen.
Erol Önderoğlu, Türkei-Korrespondent der Reporter ohne Grenzen, widersprach Perez, eine solche Rede von Sicherheit lenke von den eigentlichen Problemen ab. Auch seien willkürliche Maßnahmen gegen Oppositionelle, Menschenrechtsverletzungen und die gesellschaftliche Polarisierung ebenso wichtige Sicherheitsrisiken. Die Rechtsstaatlichkeit in der Türkei, so Önderoğlu, sei zu einer „verblassende Erinnerung“ geworden.
Bedenken zeigten sich auch bei Gesprächen in den Pausen zwischen den Podiumsdiskussionen. Viele Gäste fragten sich, was es bringen soll, Anliegen vor Vertretern der EU zu formulieren: Angesichts der Entwicklungen in der Türkei nach dem Putschversuch, den passiven Haltungen der europäischen Staaten, des weiterlaufenden Waffenhandels zwischen europäischen Staaten und der Türkei ist das eine Skepsis, die nicht überrascht.
Einziger Lichtblick: Rebecca Harms, EU-Parlamentarierin der europäischen Grünen zeigte sich als engagierteste Sprecherin uinter allen EU-Repräsentanten. Harms erzählte, wie betroffen sie der Fall des Journalisten Ahmet Şık mache, den sie einst, während dessen erster Haft, im Gefängnis besucht habe und dies zuletzt nicht mehr tun durfte – „obwohl Şık mittlerweile ein Freund geworden war“.
Harms deutete die Konferenz als eine „Demonstration von Stärke und Mut“. Als Önderoğlu von Reporter ohne Grenzen kritisierte, die EU habe die kritische Zivilgesellschaft beim türkischen Reformprozess während der ersten AKP-Jahre nicht als Akteur anerkannt, antwortete Harms: „Wir müssen ernster sein, wenn es darum geht, der Zivilgesellschaft in der Türkei eine Rolle zu geben.“ Sie forderte, die Zivilgesellschaft auch institutionell in die EU-Türkei-Beziehungen einzubinden. Vielleicht ist es Harms’ persönliche Betroffenheit, die ihr auch erlaubte, Fehler der Europäischen Union einzugestehen: „Wir haben zu lange gewartet, bis wir Stellung zu den Entwicklungen in der Türkei bezogen haben.“
Ob sich andererseits das Warten der türkischen Oppositionellen auf die EU irgendwann gelohnt haben wird, daran gibt es nach dieser Konferenz trotz dieser empathischen Worte Zweifel. Zumindest wies EU-Kommissar Hahn darauf hin, dass es bei den EU-Beitrittsverhandlungen keine Fortschritte geben werde, solange sich die Lage nicht verbessere. Auch bei der Ausweitung der Zollunion mit der Türkei hätten manche Mitgliedsstaaten ihre Zweifel, so Hahn.
Was bleibt von dieser Konferenz? Der besorgte europäische Blick auf die Türkei genauso wie der skeptische türkische Blick auf Europa. Man fragt sich, ob miteinander reden etwas bringt – und weiß zugleich, dass nicht reden auch keine Lösung ist.
Die Beziehung geht weiter. Aber sie geht nicht voran.