Staatspräsident Erdoğan will die Türkei führen wie eine Aktiengesellschaft. Sein neu ernanntes Kabinett besteht aus ihm treu ergebenen Unternehmern.
Die globalen Märkte warteten gespannt auf die Vorstellung des ersten Kabinetts im neuen System der Türkei. Am Montagabend wurde es vorgestellt. Der Wechselkurs rauschte in den Keller, die Börse brach ein. Den internationalen Weltmärkten gefiel das neue Kabinett nicht. Ausschlaggebend für die Ernennungen waren aber nicht der Weltmarkt, auch nicht der türkische Markt, sondern allein Staatspräsident Erdoğan.
Dieser befindet sich nun am Zenit seiner Macht, denn nach den Wahlen am 24. Juni wurde in der Türkei ein neues Präsidialsystem eingeführt, das die Gewaltenteilung stark einschränkt. Eigentlich überrascht das neue Kabinett nicht. Denn Staatspräsident Erdoğan ist seit langem der Meinung, die Türkei müsse „wie eine Aktiengesellschaft“ geführt werden. Tatsächlich bildet er um sich eine Art Familienunternehmen – vertraulich, ergeben und mit einem stetigen Wunsch nach Expansion.
Zusammenarbeiten will er mit gehorsamen, politisch unbefleckten, ihm zugewandten Personen. Also Menschen ohne den technokratischen und bürokratischen Ballast erfahrener Politiker. Eine eigene Meinung ist dabei nicht unbedingt gefragt. Am wichtigsten sind Treue und das Wissen darüber, wie ein Familienunternehmen funktioniert, und in welche Richtung das Geld fließen soll: von unten nach oben.
Und Erdoğan bekam, was er wollte. Er ernannte ein Kabinett, wie es seinen Vorlieben und seiner Vorstellung von Marktfreundlichkeit entspricht. Das Schatz- und Finanzministerium, also die Aufsicht und Kontrolle über das Geld, wurde seinem Schwiegersohn Berat Albayrak unterstellt. Das Bildungsministerium ging an einen Geschäftsmann und Erziehungswissenschaftler, dem Privatschulen gehören. Ein Unternehmer und Mediziner, der zugleich Vorstandsvorsitzender einer Krankenhaus-Kette ist, wurde Gesundheitsminister. Minister für Kultur und Tourismus wurde ein Reiseunternehmer, also ein reiner Geschäftsmann. So rein, dass bei seiner Ernennung im Parlament auf den Fernsehbildschirmen in der Spalte über „vorherige Tätigkeiten“ nur „Geschäftsmann“ stand.
Als Umweltminister wurde der Vorsitzende des staatlichen Wohnungsbauunternehmens TOKI eingesetzt, das den Bausektor beherrscht, öffentlichen Grund und Naturschutzgebiete ausplündert und für Projekte bekannt ist, mit denen Wälder „in Gold“ verwandelt werden. Der Vorsitzende der Sport-Toto-Anstalt, die Wetten und Glücksspiele reguliert, wurde Sportminister. Denn Geld ist dazu da, verdient zu werden.
Der Landwirtschaftsminister sagte bei einer Pressekonferenz, Erdoğan habe ihn angerufen: „Ich habe mit Herrn Erdoğan gesprochen. Er hat mich nach den Unternehmen gefragt, die ich bisher geführt habe. Das hat mich etwas verwundert. Ich habe nicht damit gerechnet, das Landwirtschaftsministerium zu bekommen. Wir haben einen kleinen Hof. Dort bauen wir Trauben und Oliven an. Damit bestreiten wir aber nicht unseren Lebensunterhalt.“ Trotzdem wurde dieser Mann Landwirtschaftsminister, denn er ist ein erfolgreicher Geschäftsmann. Da für die Türkei im Inneren und auch im Ausland alles rund läuft, brauchte es in diesen Ressorts keine Änderungen, Mevlüt Çavuşoğlu bleibt Außenminister und Süleyman Soylu Innenminister.
Mit Zehra Zümrüt Selçuk als Familienministerin und Ruhsar Pekcan als Handelsministerin wurden nur zwei Frauen ins Kabinett aufgenommen. Fortan steht das Land unter dem Befehl und der absoluten Herrschaft Erdoğans und all der kleinen Erdoğan-Ableger. Die Türkei wird nun wie ein allein auf Rendite abzielendes Familienunternehmen geführt.
Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe