Am 6. April nimmt der neue Flughafen in Istanbul seinen Regelbetrieb auf.
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Symbolfoto

So schreiben Sie über die Türkei

Beim Berichten über die Türkei kann man als Journalist*in schon verzweifeln. Wir zeigen, wie’s geht: Suchen Sie Gegensätze! Unbedingt!

EBRU TASDEMIR ELISABETH KIMMERLE, 2019-01-18

Ganz anders als jedes andere Land der Welt ist die Türkei ein Land voller Widersprüche und Kontraste. Als Journalistin oder Journalist können Sie dies gar nicht oft genug betonen! Scheuen Sie sich auch nicht, die Kontraste zu überzeichnen!

Finden Sie so viele Gegensatzpaare wie möglich, die veranschaulichen, welche Welten in der Türkei aufeinanderprallen: säkular und islamisch, moderne Stadtbevölkerung versus traditionelle Landbevölkerung, Oppositionelle gegen AKP-Wähler. Damit es noch plastischer wirkt, suchen Sie Bilder, die die Widersprüchlichkeit des Landes symbolisieren: Schreiben Sie über die Moschee im Schatten des Wolkenkratzers, lassen Sie Frauen im Minirock neben Frauen mit Kopftuch flanieren.

Für die richtige Atmo streuen Sie dann ein paar orientalisch anmutende Szenen ein.

Lassen Sie die Sonne malerisch hinter der Silhouette der Blauen Moschee untergehen und den Imam zum Gebet rufen, Taxifahrer im Verkehrschaos hupen und Marktschreier ihr Obst und Gemüse lautstark anpreisen. So entsteht vor den Augen der Leser ein buntes Treiben. Orientfeeling kommt auf, wenn Sie Sultane und Glanz und Elend des Osmanischen Reichs einfließen ­lassen.

Anatolien ist egal!

Unbedingt sollten Sie in Istanbul bleiben, wenn Sie über die Türkei schrei­ben! Die restlichen 97 Prozent des Landes verwirren die Leser*innen nur. Und warum soll man sich nach Ana­tolien wagen, wenn man so bequem alle Widersprüche in einer Stadt serviert bekommt? Eben. Wie praktisch, dass Istanbul auf zwei Kontinenten liegt. Vergessen Sie nicht, zu schreiben, dass die Stadt am Bosporus die Brücke zwischen Ost und West, zwischen Orient und Okzident ist.

Falls Sie doch ins Landesinnere fahren, schreiben Sie über todesmutige PKK-Kämpfer*innen, die mit dem Gewehr auf der Schulter und im Guerillagewand auf schmalen Bergpfaden wandern.

Lassen Sie die Menschen auf der Straße zu Wort kommen, wenn Sie die Stimmung im Land einfangen wollen; besonders gut eignen sich Taxifahrer, Straßenverkäufer und die Angler von der Galatabrücke. Auch ein deutscher Expat kann Ihnen die Lage im Land sicher kompetent erklären. Betten Sie Ihren Interviewpartner in die Atmosphäre ein, lassen Sie ihn heißen schwarzen Tee aus Tulpengläsern schlürfen, Kette rauchen und eine Gebetskette durch seine Finger gleiten.

Foto: dpa

Damit sich der Leser ein Bild von Ihren Protagonisten machen kann, beschreiben Sie das Äußere: Frauen sollten möglichst immer zierlich, aber erstaunlich stark sein (Achtung, Kon­trast!), und die Männer tragen am besten einen Schnauzer.

Der ultimative Bösewicht

Und vergessen Sie nicht das „Inschallah“ am Ende jedes Zitats!

Erwähnen Sie unbedingt, dass 99 Prozent der Bevölkerung muslimisch sind. Schreiben Sie am besten vom Aufschwung der Regierungspartei als Sieg des Islam über die säkulare Bewegung Atatürks, der das Land ins tiefste Mittelalter zurückwirft.

Überhaupt, Erdoğan: Schätzen Sie sich glücklich: Mit dem türkischen Präsidenten haben Sie den ultimativen Bösewicht zur Hand. Verzichten Sie auf seinen Vornamen und seine Funktion, wenn Sie ihn erwähnen, Sie können ihm stattdessen schöne Beinamen geben. Nennen Sie ihn den Sultan vom Bosporus, den Diktator mit Allmachtsfantasien. Dumm nur, dass mit Gülen ein zweiter Bösewicht auf die Bildfläche getreten ist. Damit können Sie nicht arbeiten. Stellen Sie das Böse als „Kismet“, also Schicksal dar, das dieses Land ereilt hat, und bauen Sie ja keine Begründungen ein, die die Haltung der EU und die Haltung Deutschlands zur Türkei kritisch beleuchten. Stellen Sie fest, dass die Lage in der Türkei finster und die Zukunft ungewiss ist. Werfen Sie die Frage auf, wohin das Land steuert, gern auch staatstragend à la Türkei, quo vadis?

Foto: picture alliance/Burhan Ozbilici/AP/dpa

Damit haben Sie auch gleich den perfekten Titel für Ihr Panel oder Ihr Buch über die Türkei. Dabei wissen Sie die Antwort natürlich längst: Der Diktator steuert die Türkei mit Vollgas in den Abgrund. Auch wenn es in Ihrem Artikel um ganz andere Dinge geht, bringen Sie unbedingt Erdoğan ins Spiel!

Und: Denken Sie unbedingt an wirkungsvolle Fotos. Kopftücher und Wolkenkratzer, Teegläser und Sesamkringel, Minarette und rote Fahnen mit Halbmond, am besten von Frauen in Kopftüchern geschwenkt – oder von ekstatischen Massen, die ihrem Präsidenten zujubeln. Noch besser können Sie das gar nicht illustrieren. Sie finden kein Bild, das zu Ihrem Thema passen könnte? Kein Problem, es gibt ja immer noch Erdoğan. Ein Bild von Erdoğan, am besten mit Sonnenbrille und Minaretten im Hintergrund. Das passt übrigens auch dann immer gut, wenn es um die türkeistämmigen Menschen in Deutschland geht.

Foto: dpa
Innerlich zerrissene Türkeistämmige

Denn wenn Sie schon dabei sind, über die Türkei zu schreiben, können Sie auch ganz einfach über die Tür­kei­stämmigen in Deutschland schrei­ben. Stellen Sie in diesem Fall die innere Zerrissenheit der Menschen heraus, die zwischen zwei Welten leben. Erklären Sie zudem die Integration der Türk*innen in Deutschland mit Aspekten aus „ihrem Heimatland“ und der „Kultur ihrer Landsleute“. Lassen Sie Ihr Wissen über Islam und türkische Kultur einfließen, wenn Sie über Deutschtürken schreiben. Und garnieren Sie das Ganze am besten mit einer Koransure. Erklären Sie vollmundig, dass zwei Drittel der hiesigen Türk*innen Erdoğan wählen – das stimmt zwar nicht, aber es wird eh keiner nachzählen.

Zwischendurch fragen Sie hoffentlich noch Taxifahrer, Dönerverkäufer und Kuaföre nach ihrer Meinung zu Erdoğan! Schließlich haben Sie ja auch zuerst die Currywurstverkäufer nach ihrer Einschätzung gefragt, als es um die Nachfolge Angela Merkels für den CDU-Parteivorsitz ging. Und das gibt ja wieder so schöne Bilder am Dönerstand!

Foto: dpa

Schwer zu bebildern ist allerdings ein wirklich eklatantes Problem der Türkei: nämlich die über 140 inhaftierten Journalist*innen. Wie soll man sich die ganzen Namen bloß merken? Aber keine Sorge: Stellen Sie einfach ein, zwei prominente männliche Kollegen in den Vordergrund, am besten die, die nicht mehr im Gefängnis sind und vielleicht schon im Exil. An ihnen können Sie den Typus des unterdrückten, verfolgten Oppositionellen wunderbar aufzeigen. Blenden Sie aus, dass es in den Herkunftsländern der Exiljournalisten weiterhin für die Pressefreiheit kämpfende Organisationen gibt, das verwässert das Bild nur.

Auch AKP wählende Kurd*innen und trans Frauen stören das Bild. Hier gibt es nur zwei Seiten: gut und böse, Regierung und Opposition, allmächtiger Täter und ohnmächtiges Opfer. Wenn es um die Oppositionellen geht, wählen Sie einen Tonfall der Betroffenheit und zeigen Sie, wie barmherzige Deutsche der verfolgten Zivilgesellschaft in der Türkei zu Hilfe eilen, indem sie sich solidarisch erklären.

Zum Schluss: Steigen Sie mit einem blumigen Sprichwort aus, das kein Schwein versteht. Man wird Ihnen abnehmen müssen, dass Sie nicht nur Land und Leute kennen, sondern auch die Sprache en detail, also bis hin zu den Redewendungen.

„Kolay gelsin“ würde man Ihnen in der Türkei zurufen: „Möge es Ihnen leicht von der Hand gehen.“

taz gazete wird am 19. Januar zwei Jahre alt. Die deutsch-türkische Plattform der taz Panter Stiftung und der taz setzt sich für die Pressefreiheit in der Türkei ein. In dieser Zeit haben wir viele Artikel über die Türkei gelesen, redigiert und geschrieben. Dabei sind uns immer wieder die gleichen Stereotype über die Türkei begegnet – auch in unseren eigenen Texten. Natürlich ist nicht jedes Klischee komplett falsch. Die Schwierigkeit besteht nur darin, die komplexen Zusammenhänge in der Türkei darzustellen, ohne einem vereinfachenden diametrischen Schema zu erliegen. Vor dieser Herausforderung stehen wir in unserer täglichen Arbeit.

EBRU TASDEMIR ELISABETH KIMMERLE, 2019-01-18
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