Im zentralen Istanbuler Bezirk Beyoğlu, dem Herz der Stadt, will ein Sozialist Bürgermeister werden. Es könnte sogar gelingen.
Alper Taş ist groß. Er ist, was nur wenige Menschen in der Türkei von sich sagen können, sogar größer als Präsident Recep Tayyip Erdoğan, der im Volksmund „der Lange“ heißt. Im Gespräch mit WählerInnen beugt sich Alper Taş hinunter, was bei ihm nicht herablassend, sondern zugewandt wirkt. „Die Leute“, sagt Taş, „reagieren freundlich auf unsere Kampagne. Sie hören zu, auch in den konservativen Teilen von Beyoğlu.“
Der 52-Jährige ist Vorsitzender der linken Splitterpartei ÖDP. Er ist ein erprobter politischer Kämpfer, stand bislang aber am Rande des Geschehens. Dass er vor der Kommunalwahl am Sonntag nun ins Zentrum der politischen Auseinandersetzung in Istanbul rückt, verdankt er der größten Oppositionspartei CHP. Weil es der CHP in den letzten 16 Jahren nie gelungen ist, Erdoğans AKP zu schlagen, sucht deren Chef Kemal Kılıçdaroğlu Bündnispartner. Taş nahm das Angebot an, auf der CHP-Liste zu kandidieren.
Für die demoralisierte Linke wirkt diese Kandidatur wie ein Adrenalinstoß. Im Wahlkampfbüro am Taksimplatz geht es zu wie in einem Taubenschlag. Menschen holen Plakate ab, besprechen Hausbesuche bei WählerInnen oder bereiten die nächste Kundgebung vor. „Viele wollen mithelfen“, sagt Taş zufrieden.
Den Enthusiasmus wird es auch brauchen, damit Taş gegen den eingespielten Wahlkampfapparat der AKP eine Chance hat. Zwar ist sein Gegenkandidat Haydar Ali Yıldız, dessen Qualifikation vor allem darin zu bestehen scheint, dass er ein Schulfreund des Präsidentensohns Bilal ist, nicht gerade ein politisches Schwergewicht. Doch Haydar Ali Yıldız ist auch nur auf dem Papier der politische Gegner: „Politisch tritt Erdoğan in allen Kommunen selbst an“, beschreibt Taş die Situation. Seit Ende Februar legt der Präsident täglich mindestens drei Wahlkampfauftritte in unterschiedlichen Städten der Türkei hin. Die Bürgermeisterkandidaten der AKP sind dabei nur Staffage.
Doch Erdoğan muss kämpfen. „Die Wirtschaftskrise macht die Leute wütend“, sagt Taş, „und das Konzept der AKP, alle Städte mit Beton zuzuschütten, stößt auch auf Widerstand.“ Gerade jetzt in der Kommunalwahl habe die Opposition eine Chance.
Tatsächlich sehen die Umfragen sowohl in Istanbul als auch in der Hauptstadt Ankara nicht schlecht aus für die Opposition. Um das enorm wichtige Amt des Istanbuler Oberbürgermeisters liefern sich Regierung und Opposition ein Kopf-an-Kopf-Rennen. In Ankara liegt der Oppositionskandidat gar zehn Prozentpunkte vorn.
Allerdings zeigt sich in der Hauptstadt, wie schmutzig der Wahlkampf geführt wird. Aufgrund eines offensichtlich fingierten Vorwurfs wegen angeblichen Besitzes pornografischer Bilder ist just zwei Wochen vor der Wahl Anklage gegen den CHP-Kandidaten Mansur Yavaş erhoben worden.
Auch gegen Alper Taş sind in regierungsnahen Zeitungen Vorwürfe erhoben worden, er stünde der PKK nahe. Doch in Beyoğlu, wo sich 2013 die größte Protestbewegung in Erdoğans gesamter Amtszeit formierte, verfängt das nur bedingt. „Wegen der brutalen Niederschlagung der Gezi-Bewegung haben hier viele noch eine Rechnung mit Erdoğan offen“, sagt Taş. Erst im Februar wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft 16 Mitglieder der damaligen Bürgerinitiative lebenslang ins Gefängnis bringen will.
Trotzdem ist Beyoğlu für einen Linken kein leichter Bezirk. Zwar wohnen entlang der İstiklal-Promeniermeile viele Erdoğan-Gegner. Doch zu Beyoğlu gehören auch die AKP-Hochburgen am Goldenen Horn. Auch dort muss Taş überzeugen. Er verspricht die Gründung von Kooperativen, die das Leben billiger und bürgernäher machen. Kultur, auch Kneipenkultur, soll zurückkehren. Doch letztlich könnte die Entscheidung vor allem von kurdischen Stimmen abhängen. Auf der Schattenseite Beyoğlus, in den Armenecken des Bezirks, leben überwiegend Kurden. Die kurdisch-linke HDP hat darauf verzichtet, in Beyoğlu einen eigenen Kandidaten aufzustellen, um Alper Taş zu unterstützen. In Beyoğlu könnte also ein kleines Wunder geschehen.
Die Wahl: Am Sonntag sind die WählerInnen in der Türkei aufgerufen, unter anderem die Bürgermeister der Städte und Gemeinden neu zu bestimmen.
Die Metropolen: Vor allem die Entscheidungen in der Hauptstadt Ankara, Istanbul und Izmir setzen Trends, die auch für die Regierung des Landes bedeutend sind. Von den drei Metropolen ist allein Izmir seit Jahrzehnten fest in der Hand der größten Oppositionspartei CHP. In Ankara und Istanbul stellt die islamisch-konservative Regierungspartei AKP von Präsident Erdoğan seit mehr als zehn Jahren die Bürgermeister.
Die Chancen: Zusätzlich zu Izmir ist auch eine Niederlage der AKP in Istanbul und Ankara nicht ausgeschlossen. Für Erdoğan wäre ein solcher Wahlausgang ein herber Gesichtsverlust. (hag)