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Midori Koçak hat Wonder Women gegründet. Die Organisation unterstützt LGBTI* im Bereich Informatik.

Schon wieder Beweislast

In feministischen Kreisen kursieren derzeit transphobe Erzählungen. taz gazete hat mit drei trans Menschen über ihre Erfahrungen gesprochen.

BURCIN TETIK, 2019-08-21

Mit zunehmender Sichtbarkeit von trans Menschen in der Gesellschaft und in sozialen Medien werden transphobe Erzählungen wieder aufgewärmt – sogar in feministischen Kreisen. In jüngster Zeit haben mehrere feministische Akademikerinnen sich ablehnend gegenüber trans Frauen geäußert und ihnen „männliche Privilegien“ zugeschrieben. In den sozialen Medien wächst die Debatte. International ist das Phänomen unter dem Namen TERF (trans exclusionary radical feminism) bekannt. Zahlreiche LGBTIQ-Organisationen in der Türkei haben sich kritisch geäußert. Taz gazete hat mit trans Menschen über die praktischen Auswirkungen der transphoben Diskurse gesprochen. Drei Protokolle.

Midori Koçak

„Ja, es ist schwer, trans zu sein. Es ist schwer, trans Frau zu sein. Ich hatte mein Leben lang keines der männlichen Privilegien, von denen akademische Feministinnen jetzt sprechen. Denn wenn du als trans Kind aufwächst, kommst du nicht in den Genuss der Vorteile von Maskulinität. Feminine Kinder werden eben nicht gepusht, sondern ausgegrenzt. Meine Mutter hat schon mitgekriegt, wie ich bin, als ich noch ganz klein war, und mich überhaupt nicht so behandelt wie meinen jüngeren Bruder. Überall werden trans Frauen ermordet, von welchen Privilegien sprechen wir hier bitte? Akademikerinnen, die das behaupten, können sich nicht auf Sachkenntnis berufen, sondern nur auf ihre eigene Autorität.

In der Arbeitswelt ist die Diskriminierung besonders hoch. In der Türkei gibt es ohnehin eine Mobbingkultur, und trans Menschen bekommen das besonders ab. Einmal haben mich Polizisten auf der Straße herausgegriffen. Sie hielten mich für eine Sexarbeiterin. Einer der Polizisten belehrte die anderen: „Solche wie die müsst ihr alle durchficken.“ Ich lebe seit fünf Jahren in Tschechien. In Prag habe ich mit meiner offenen Identität eine Stelle angetreten. Gemeinsam mit zwei männlichen Ingenieuren. Gesprochen wurde aber nur mit denen. Ich wurde nicht zu Meetings dazugeholt, ich wurde unterbrochen. Sobald ich mich etwas weiblich anzog, hat niemand mit mir gesprochen. Mit den anderen Frauen wurde natürlich nicht so umgegangen. Am Ende hieß es, die Firma sei nicht in der Lage, mir eine inkludierende Umgebung zu geben und ich sei im Team isoliert. Das war dann ein Kündigungsgrund.

Ich glaube nicht, dass Durchschnittsmenschen ähnlich denken wie die akademischen TERF. Was mir Angst macht ist, dass diskriminierende Diskurse über diese Hochschullehrerinnen institutionalisiert werden. Dass Jüd*innen keine Arier seien, wurde lang vor dem Holocaust an den Hochschulen diskutiert. In den USA wird diskutiert, dass bei trans Frauen „genetische Informationen“ darüber entscheiden sollen, welche Toiletten sie benutzen dürfen. Wenn Tests über zivile Rechte entscheiden sollen, wird es bedenklich. Gleichzeitig macht die Forschung Fortschritte, und in 40 Jahren wird es vielleicht unmöglich, zu unterscheiden, wer trans ist und wer nicht. Genau deshalb wollen sie auch trans Kinder in ihren Möglichkeiten einschränken, denn deren Stimmen und Erscheinungsbilder unterscheiden sich nicht von denen von cis Menschen.“

Ilgaz Yalçınoğlu

„TERFs merken nicht, dass sie mit ihren Äußerungen mit dem Leben anderer Menschen spielen. Sie haben ein negatives Bild davon, trans zu sein oder Hormone zu nehmen, aber sie sprechen nicht über den Stress, den eine ungewollte, verhasste Entwicklung in der Pubertät bei Kindern auslöst. TERFs denken, sie hätten Gender verstanden. Manchmal denken auch queere Aktivist*innen, sie hätten alles verstanden, nur weil sie trans Freund*innen haben. Es geht aber um Erfahrungen, die man nicht einfach so mal verstehen kann. Ich glaube, TERFs fürchten sich davor, Frauen und Männer nicht mehr unterscheiden zu können, da sie ihre Weltsicht und ihre akademischen Karrieren auf dieser Dichotomie aufgebaut haben. Es fällt ihnen schwer, Realitäten jenseits der eigenen anzuerkennen.

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Ich hatte mein Coming-Out gegenüber meiner Familie mit siebzehn. Eigentlich muss man volljährig sein, aber mein Vater ist selbst Arzt. Deshalb bekam ich die nötige ärztliche Begleitung, um sofort mit den Pubertätsblockern anzufangen. Das hat mein Leben positiv verändert. Meine Angst, dass durch Östrogen meine Brüste wachsen würden, verschwand. Mit den Blockern wurde ich sofort ein offenerer Mensch, konnte besser Freundschaften schließen, und allmählich klangen meine Depressionen ab. Ich war superschlecht in der Schule gewesen, und selbst da holte ich auf.

Wenn wir also über das Suizidrisiko sprechen, ist es meiner Erfahrung nach sehr viel besser, wenn junge Menschen Blocker benutzen, als dass sie in schwere Depressionen verfallen. In meinem Fall hätte mit den Blockern sogar sehr viel früher begonnen werden sollen. Mit vierzehn Jahren hörte ich auf zu essen, um meine Monatsblutungen zu unterdrücken, und entwickelte Essstörungen. Das war sozusagen ein Blocker, den ich mit meinen eigenen Methoden gefunden hatte. Ich ging zur Therapie, aber niemandem kam in den Sinn, dass es eigentlich um eıne Genderproblematik ging. Das haben Therapeut*innen und Ärzt*innen nicht im Blickfeld. Ich hatte eine sehr schwere Depression. Bei trans Kindern ist das Suizidrisiko extrem hoch. Ich war Teil der Risikogruppe.

Blocker und Hormoneinnahme sind Errungenschaften, die nicht mehr zur Diskussion stehen sollten. trans Kinder sollten stärker im Mittelpunkt stehen. Wir brauchen Ärzt*innen, die speziell zu diesem Thema arbeiten. Denn Hochschullehrerinnen haben einen gewissen Status, man hört ihnen zu. Was sie sagen, hat einen Einfluss auf die medizinische Praxis. Die medizinische Praxis wiederum wirkt sich auf die Gesellschaft aus. Auch die Medizin steht in Wechselwirkung mit der Gesellschaft. So gesehen sind viele Ärzte auch nicht wirklich bereit, den trans Kindern zu helfen.“

Diren Coşkun

„Als ich inhaftiert wurde, hätte ich eigentlich als trans Frau in ein Frauengefängnis gebracht werden müssen. Da ich nicht operiert wurde, hat der Staat meine Identität einfach ignoriert und mich in ein Männergefängnis gesteckt. Dort wirst du jeden Tag von den Gefängniswärtern belästigt, ohne dein Einverständnis fassen sie deinen Körper an. Es ist dort verboten, Frauenkleidung zu tragen oder sich zu schminken. Bei der Ankunft im Gefängnis werden die Haare der trans Frauen abgeschnitten, eigene Kleidung wird beschlagnahmt. Schrecklich!

Foto: Privat

Weil trans Frauen nicht als Frauen gesehen werden, erleben wir in der Gesellschaft viel Schlimmes: Belästigungen, Vergewaltigungen, jede Form von Gewalt. Auch meine Zellengenossin war eine trans Frau, aber die Gefängnisleitung behandelte uns beide unterschiedlich. Während meine Haare lang bleiben konnten, wurden ihre kurzgeschoren, ich durfte Brüste haben, sie nicht. Ich habe dafür gekämpft und schließlich erreicht, dass ich nur noch mit einem Scanner durchsucht werde, meine Freundin wurde weiterhin händisch durchsucht. Der Grund dafür war schlicht, dass wir anders aussahen. In dieser Hinsicht unterscheiden sich radikale Feministinnen und die Gefängniswärter des Staates kaum voneinander.

Im Gefängnis habe ich zum ersten Mal versucht Suizid zu begehen. Warum passiert das alles? Weil sie nicht akzeptieren, dass ich eine Frau bin. Meine Zellengenossin hat jeden Morgen geweint, während sie sich rasierte. Ein Mensch in dieser Lage kann mit dem Konzept „body positivity“ nichts anfangen. In den Jahren, die sie im Gefängnis verbracht hat, wurden ihr alle Rechte genommen, die sie zuvor erkämpft hatte. Und sie durfte nicht über ihren eigenen Körper bestimmen. Als Frau wird sie dazu gezwungen, ihr Dasein als Frau unter Beweis zu stellen. Warum müssen wir unser Frausein unter Beweis stellen? Wenn wir uns nicht in Frauenräumen bewegen dürfen, wo dann?

In Gefängnissen, in denen Kategorien binärer Geschlechtlichkeit und Heterosexismus vorherrschen, ist es sehr schwer, unsere Bedürfnisse zu erfüllen. Im Gefängniskiosk gibt es nur Waren für den männlichen Bedarf. Bei Krankenhausbesuchen wird uns nicht erlaubt, die Frauentoilette zu benutzen. Nur operierte trans Frauen dürfen in Frauenbereiche. Das ist so, weil hier Weiblichkeit allein über die Vagina definiert wird. Dass Feministinnen die Zweigeschlechtlichkeit stützen, finde ich falsch. Eine trans Frau zu sein hat nichts damit zu tun, ob man lange oder kurze Haare, einen Bart oder keinen Bart trägt, ob man eine Vagina oder einen Penis, Brüste oder keine Brüste hat. Ich finde das sehr verletzend, wenn uns gesagt wird, wir würden die Welt als Männer erfahren.

Wir dekonstruieren Identitäten und bauen sie dann wieder auf. Dabei sollten Menschen nicht gegen ihre eigene geschlechtliche Identifikation kategorisiert werden. Ich kämpfe auch gegen das Patriarchat. Ich finde es gut, wenn sich Menschen von meinem Ausschnitt gestört fühlen. Denn ich habe einen sehr hohen Preis dafür bezahlt, um die Person sein zu können, die ich heute bin. Deshalb fällt es mir schwer, die radikalen Feministinnen zu verstehen.

Als ich gehört habe, was sie verbreiten, musste ich lachen. Das von Menschen zu hören, die sich eigentlich auf einem bestimmten Niveau bewegen, war sehr enttäuschend. Wenn man nicht wüsste, was sie erzählen, dann würde man denken, das seien Menschen, mit denen man einen gemeinsamen Kampf führt. Aber sie ziehen stattdessen Grenzen zwischen uns hoch. Es gibt nichts Schlimmeres als das.“

Aus dem Türkischen von Oliver Kontny und Volkan Ağar

BURCIN TETIK, 2019-08-21
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