Inhaftierte Mitglieder der türkischen politischen Musikgruppe Grup Yorum sind seit Mai im Hungerstreik. Nun wurde ein Solikonzert in Köln verboten.
Am 24. November sollte in Köln ein Solidaritätskonzert für die in der Türkei inhaftierten Mitglieder der Band Grup Yorum stattfinden. Im Ezgi Center in Köln-Braunsfeld war die Bühne bereits aufgebaut, die Redner*innen und Musiker*innen waren bereit, als fünf Minuten vor Beginn des Konzerts die Polizei eintraf, mit einer Verbotsverfügung in den Händen. Aus dieser ging hervor, dass das Konzert aufgrund von „illegaler Propaganda für eine terroristische Vereinigung“ verboten worden war und von der Staatsanwaltschaft Untersuchungen eingeleitet worden waren.
Die Kölner Polizei teilte später mit, dass sie Propagandamaterialien einer in Deutschland verbotenen, linksextremen türkischen Vereinigung beschlagnahmt, deren Konzert verboten, den Saal geräumt und die Zuschauer*innen weggeschickt habe. Bei den Propagandamaterialien handelte es sich unter anderem um politische Karikaturen von İsmail Doğan, die im Konzertsaal ausgestellt waren. Trotz des Verbots fand das Konzert statt, wenn auch nicht im Saal, sondern auf der Straße. In einer offiziellen Stellungnahme von Grup Yorum heißt es: „Der deutsche Imperialismus hat seine Zusammenarbeit mit dem türkischen Faschismus deutlich gemacht!“
Als die Polizei kam, befand sich auch die Anwältin Berrak Çağlar vom türkischen Juristenverein ÇHD im Saal, die sich wegen eines internationalen Juristenkongresses in Deutschland aufhielt. Laut Çağlar gab es bei Grup-Yorum-Konzerten in Deutschland bereits in der Vergangenheit Drohungen und Schwierigkeiten, einen Konzertsaal zu finden. Doch ein Verbot sei zum ersten Mal verhängt worden. „Zudem sollte Grup Yorum gar nicht auftreten, sondern die anderen anwesenden 17 Bands aus der Türkei, Deutschland, Chile, Frankreich und Griechenland“, sagt Çağlar.
Der Grund für das Verbot ist Çağlar zufolge ein einvernehmliches Abkommen zwischen den türkischen und deutschen Geheim- und Sicherheitsdiensten: „Die Türkei verstärkt den gesellschaftlichen Druck in Bezug auf Sicherheit und Terror. Von der deutschen Regierung fordert sie eine stärkere Durchsetzung von Sanktionen gegen Türkeistämmige, die sie als ‚Terroristen‘ bezeichnet und als verdächtig ansieht.“
Grup Yorum wird als Teil der in der Türkei als Terrororganisation eingestuften DHKP-C (dt.: Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front) gesehen und kriminalisiert. Die DHKP-C befindet sich auf der Liste der verbotenen Vereinigungen des deutschen Verfassungsschutzes. Bereits im Mai 2017 hatte das deutsche Innenministerium in einer Mitteilung an die Bundesländer Baden-Württemberg, Hamburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen gefordert, Konzerten von Grup Yorum keine Genehmigung zu erteilen.
Seit ihrer Gründung im Jahr 1985 ist Grup Yorum immer wieder Ziel von staatlicher Kontrolle geworden. Die Band ist für ihre politischen Songtexte bekannt: Grup Yorum singt über das Massaker von Sivas 1993, über die verunglückten Bergbauarbeiter in den 2000er Jahren und über die Gezi-Proteste von 2013. Insgesamt hat die Band 25 Alben herausgebracht und über zwei Millionen Hörer*innen erreicht.
In den fast 35 Jahren ihres Bestehens wechselten die Bandmitglieder immer wieder. So haben sich drei Generationen herausgebildet, die erste Mitte der 1980er Jahre, die zweite in den 1990ern und schließlich die dritte, die in ihren Liedern die politische Situation in den 2000ern und danach thematisiert. Zum 25-jährigen Jubiläum gab Grup Yorum 2010 vor 50.000 Menschen ein Konzert im Istanbuler İnönü Stadion. Die Musiker*innen traten in Deutschland, Frankreich und England auf. Und genau wie sie überall Sympathisant*innen haben, verfolgen die Verbote sie auch überall hin.
Am 27. März 2015 wurde im türkischen Parlament ein neues Sicherheitsgesetz verabschiedet, das das Recht auf Versammlungsfreiheit weiter einschränkte. Das neue Gesetz traf Grup Yorum als Erstes. Das Konzert, das sie am 12. April 2015 veranstalten wollten, wurde verboten. Seitdem wurde nie wieder einer größeren Veranstaltung von Grup Yorum eine Erlaubnis erteilt. Die Band versuchte daraufhin, ihre Musik auf die Straße zu tragen. Doch auch dort ging die Polizei massiv gegen die Musiker*innen und deren hartnäckigen Zuhörer*innen vor. Zuerst spielten sie auf Lkw-Anhängern, als die Polizei sie von dort verjagt hatte, zogen sie auf die Hausdächer oder versuchten, per Livestream im Internet Konzerte zu geben.
Mit der Ausrufung des Ausnahmezustands nach dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 stiegen die politischen Repressionen weiter. Das Kulturzentrum “İdil Kültür Merkezi“, in dem die Band seit 2016 aktiv ist, wurde seitdem unzählige Male durchsucht, Musikinstrumente wurden zerstört, Dutzende Vereinsmitglieder festgenommen.
Aus Protest gegen die Repressionen traten fünf von sechs inhaftierten Bandmitgliedern im Mai in einen Hungerstreik. Der Hungerstreik, der inzwischen fast 200 Tage andauert, habe einen gesundheitlich kritischen Punkt erreicht, sagt die Anwältin Çağlar. Auch die beiden Grup-Yorum-Mitglieder Helin Bölek und Bahar Kurt, die vergangene Woche aus der Haft entlassen wurden, führen ihren Hungerstreik fort. İbrahim Gökçek, Barış Yüksel und Ali Aracı befinden sich hingegen weiterhin im Hochsicherheitsgefängnis von Silivri im Hungerstreik. Sie fordern die Einstellung der Strafverfahren, die Aufhebung des Auftrittsverbots, die Freilassung der Bandmitglieder und ein Ende der Durchsuchungen im İdil-Kulturzentrum.
Das Grup-Yorum-Mitglied Selma Altın, die in der Türkei als eine der meistgesuchten Terroristinnen gilt und Asyl in Frankreich beantragt hat, fordert außerdem „die Streichung der Namen der Musiker*innen von der Terrorliste“. Das türkische Innenministerium hat 300.000 türkische Lira Belohnung für die Ergreifung Altıns und ihres Manns İnan ausgesetzt. Doch Kunst könne man nicht verbieten, sagt Selma Altın. Ganz im Gegenteil sogar: „Wenn die Repressionen steigen, wächst Grup Yorum. Und wenn Grup Yorum wächst, steigen auch die Repressionen.“
In Frankreich wurde am 9. November eine Unterschriftenkampagne zur Unterstützung von Grup Yorum gestartet. Eine Gruppe französischer Musiker*innen hat ihre Soldarität mit den inhaftierten Bandmitgliedern zum Ausdruck gebracht, indem sie die Lieder von Grup Yorum auf die Bühne brachten. Selma Altın erzählt, dass die Repressionen, denen Intellektuelle, Schriftsteller*innen und Künstler*innen in der Türkei ausgeliefert sind, ihre französischen Kolleg*innen überraschen. „Erst wenn wir ihnen konkrete Beispiele zeigen, verstehen sie, was los ist. Zum Beispiel müssen wir ihnen die Terrorlisten zeigen, auf denen unsere Namen stehen. Aber wenn sie die Ernsthaftigkeit erkannt haben, engagieren sie sich mit ganzem Herzen.“
Aus dem Türkischen von Julia Lauenstein