Die deutsch-türkischen Geschäftsbeziehungen reichen zurück bis ins Osmanische Reich. Auch beim Flughafenbau haben sich deutsche Firmen lukrative Aufträge geholt.
Die deutsch-türkischen Beziehungen, und mit ihnen auch die Aktivitäten deutscher Firmen in der Türkei, reichen weit in die Vergangenheit zurück. Als sie im 19. Jahrhundert begannen, war es noch Preußen, das Kontakt zum Osmanischen Reich aufnahm. Wie so oft in den Beziehungen zweier Staaten fing alles mit dem Militär an. Das deutsche Militär kam jedoch nicht als Eroberer, sondern als Berater ins Osmanische Reich.
Der wichtigste von ihnen war der damalige Major Freiherr Colmar von der Goltz, der 1883 erstmals als Vertreter des preußischen Militärs nach Konstantinopel kam und im Ersten Weltkrieg als Generalfeldmarschall das letzte Mal an den Bosporus zurückkehrte. Wilhelm Freiherr von der Goltz gründete die erste Kriegsakademie des Osmanischen Reiches in Konstantinopel und wurde damit zum entscheidenden Wegbereiter deutschen Einflusses im Orient. Vor allem aber wurde er zum erfolgreichen Lobbyisten der deutschen Waffenindustrie.
Krupp verdankte ihm viele lukrative Aufträge. Von der Goltz sorgte dafür, dass die deutsche Waffenschmiede das osmanische Heer mit Geschützen und Artilleriesystemen ausrüsten durfte, die dem Konzern damals 70 Millionen Goldmark einbrachten. Auch für einen anderen Waffenfabrikanten wurde von der Goltz zum Türöffner. Er setzte durch, dass die Firma Mauser mit ihrem Standardgewehr zum Hauptausrüster der osmanischen Armee wurde. Damit war ein Anfang gemacht und der Weg frei für andere Großprojekte.
Als der Bankier und Mauser-Vertreter Alfred Kaulla 1890 an den Bosporus kam, wurde er angefragt, ob er ein Bankenkonsortium auf die Beine stellen könnte, das in der Lage wäre, den Bau einer Eisenbahn von Konstantinopel nach Konya zu finanzieren. Kaulla holte die Deutsche Bank ins Boot. Der damalige Deutsche Bank-Vorstand Georg von Siemens willigte ein und die erste anatolische Eisenbahn wurde innerhalb von sechs Jahren nach Konya und Ankara gebaut. Der Sultan war zufrieden und schlug daraufhin ein Projekt vor, das alle bisherigen Dimensionen sprengte: eine Bahn bis nach Bagdad und Basra, die die mesopotamischen und arabischen Provinzen mit der Hauptstadt verbinden und gleichzeitig über den Balkan bis nach Berlin führen sollte.
Der deutsche Kaiser Wilhelm II. war begeistert und drängte die Deutsche Bank einzusteigen. Die Bagdadbahn wurde zum größten Infrastrukturprojekt des Osmanischen Reiches und zum zentralen imperialen Projekt des deutschen Kaiserreiches. Der Bahnbau hatte aber auch seine dunkle Seite: Etliche Bahnarbeiter wurden getötet. Vor allem in den schwierigen Streckenabschnitten in den Taurus-Bergen kam es häufig zu Unfällen, oft mit tödlichem Ausgang. Als der Erste Weltkrieg die Bauarbeiten behinderte, weil viele Arbeiter eingezogen wurden, mussten Kriegsgefangene als Zwangsarbeiter ran. Immerhin versuchte die Bahngesellschaft, ihre armenischen Arbeiter vor der Zwangsdeportation in den Tod zu schützen, letztlich aber vergeblich. Die Bagdadbahn wurde für viele Armenier zur Todesbahn, mit der sie deportiert wurden.
Die gemeinsame Niederlage Deutschlands und der Türkei und die darauffolgende Zerlegung des Osmanischen Reiches durch die Siegermächte führten zunächst zu einer Zäsur in den Wirtschaftsbeziehungen zwischen der neuen deutschen und der neuen türkischen Republik. Die Wiederbelebung der Beziehungen erfolgte dieses Mal nicht über das Militär – die türkische Regierung widerstand allen Avancen Hitlers und hielt sich aus dem Zweiten Weltkrieg heraus –, sondern über deutsche Professoren, die vor Hitler fliehen mussten. Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk bot etlichen jüdischen und sozialdemokratischen Akademiker*innen ein Exil in der Türkei an und bediente sich ihrer Expertise beim Aufbau einer modernen Verwaltung und modernen Universitäten.
Damit blieb eine deutsch-türkische Verbindung bestehen, an die deutsche Firmen nach dem Zweiten Weltkrieg wieder anknüpfen konnten. Der türkische Markt war in den fünfziger und sechziger Jahren zwar ziemlich abgeschottet, die Lira international nicht konvertibel, aber bei großen Infrastrukturprojekten kamen Firmen wie Siemens und Daimler-Benz bald wieder zum Zuge. Daimler baute in den sechziger Jahren auf Wunsch des türkischen Militärs ein Motorenwerk in Aksaray, einer Stadt östlich von Ankara und aus deutscher Sicht fernab der Zivilisation. Daimler wollte gerne Überlandbusse für den wachsenden türkischen Markt fertigen, am liebsten in der industriell am weitesten entwickelten Region rund um Istanbul. Weil damals aber ohne das Militär nichts lief, starteten sie zunächst in der Provinz.
Heute baut Daimler in Aksaray LKWs, die sie im gesamten Nahen Osten verkaufen. Längst hat der Konzern auch eine Busproduktion in einem Vorort von Istanbul. Nahezu die gesamte Busproduktion des Konzerns findet mittlerweile in Istanbul statt, in Deutschland gibt es für Busse nur noch eine Entwicklungsabteilung. Was die Türkei für deutsche Konzerne so attraktiv macht, ist nicht nur der Markt von rund 80 Millionen Konsumenten, sondern auch die niedrigen Löhne und die Unterdrückung der Gewerkschaften. Wie alle anderen türkischen Konzerne auch machen sich die deutschen Firmen die schlechte Lage der Beschäftigten zunutze. Gewerkschaftliche Organisation wird verhindert, legale Streiks sind nahezu unmöglich. Von Mitbestimmung wie in Deutschland ist in den türkischen Daimler-Werken keine Rede.
Das schlägt sich auch in der Sicherheit am Arbeitsplatz nieder. Arbeitsunfälle wegen schlechter Sicherheitsstandards sind in der Türkei notorisch. Aber auch deutsche Firmen, die in der Türkei produzieren oder bauen, sehen darüber hinweg. Im Frühjahr 2012 wurden elf Arbeiter, die beim Bau eines Einkaufszentrums für ein deutsches Unternehmen engagiert waren, bei einem Brand getötet. Sie mussten sterben, weil sie in nicht feuerfesten Zeltunterkünften untergebracht waren. Doch der deutsche Auftraggeber ECE – ein Projektentwickler für Einkaufszentren weltweit, der den Erben des Otto-Versand-Konzerns gehört – wusch seine Hände in Unschuld. Für die mangelhafte Unterbringung der Bauarbeiter sei ein Subunternehmen zuständig gewesen, so die Ausrede. Eine Entgegnung auf tödliche Unfälle, die sich auf türkischen Baustellen großer Beliebtheit erfreut und auch am neuen Istanbuler Großflughafen immer wieder dazu dient, Verantwortung von sich zu weisen.
Zahlreiche deutsche Unternehmen beteiligen sich am Bau des neuen Flughafens in Istanbul. Als die türkische Regierung 2013 den Auftrag erteilte, gab der Frankfurter Flughafenbetreiber FRAPORT das höchste Angebot ab: 20 Milliarden Euro für den Bau und Betrieb des neuen Flughafens für 25 Jahre. Das Gebot war fast 8 Milliarden Euro höher als das der Baufirma İGA, die schließlich den Zuschlag erhielt. Die Hamburger Firma Heinemann erhielt den Zuschlag für den Duty-Free-Bereich und wird jährlich 500 Millionen Euro Miete an İGA zahlen. DHL baut auf dem neuen Flughafengelände ein 34.000 Quadratmeter großes Logistikzentrum im Wert von 135 Millionen Euro, während Thyssen Krupp alle 143 Passagierbrücken für das Terminal lieferte. Siemens wird für das Energiemanagement der Brandschutzsysteme des neuen Flughafens verantwortlich sein.
Länger noch als Daimler Benz ist Siemens in der Türkei aktiv. Überall im Energie-, Transport- und mittlerweile auch im Gesundheitssektor mischt Siemens mit. Ihre erste türkische Niederlassung entstand 1907. Seitdem baut Siemens Kraftwerke, elektrifiziert die Bahn, die Metro und baute die ersten Windparks. Im Moment verhandelt Siemens einen Großauftrag, der in seinen Dimensionen an die Bagdadbahn erinnert: Für über 35 Milliarden Euro soll der Konzern neue Hochgeschwindigkeitsbahntrassen bauen und die existierenden modernisieren. Anschließend will die Türkei die entsprechenden Züge von Siemens kaufen.
Nicht nur Großkonzerne aus Deutschland sind in der Türkei aktiv. Im Gegenteil: Insgesamt sind in dem Land 7.200 deutsche Unternehmen ansässig, nach Angaben des Auswärtigen Amtes mehr als in jedem anderen Land außerhalb Deutschlands. Diese massive Präsenz deutscher Firmen und deutschen Kapitals ist das Rückgrat der deutsch-türkischen Beziehungen. Ein einziges Mal gerieten die Beziehungen zwischen beiden Ländern ernsthaft in Gefahr: Als nach dem Putschversuch 2016 eine Schwarze Liste auftauchte, in der rund 800 deutschen Firmen eine Nähe zu „Terrororganisationen“ vorgeworfen wurde. Die Liste verschwand schnell wieder in der Versenkung. Sie sei ein Fehler niedriger Bürokraten gewesen, hieß es aus der Türkei.
Mittlerweile herrscht wieder business as usual.
Dieser Text ist Teil des multimedialen Dossiers zum Flughafen Istanbul. Mit Grafiken, Videos, Reportagen und Interviews beleuchtet taz gazete die Folgen des Megaprojekts für Menschen, Umwelt und Wirtschaft. Lesen Sie mehr unter taz.de/flughafen-istanbul