Student*innen der Universität in Ankara wollen die Bäume auf dem Campus schützen und den Rektor absetzen. Linker Protest an der ODTÜ hat Geschichte.
Am Montag stürmte Polizei das Gelände der Technischen Universität des Nahen Ostens ODTÜ in Ankara und ging mit Schlagstöcken und Tränengas gegen Studierende vor. Die ODTÜ ist eine der renommiertesten Universitäten des Landes und bekannt für ihre linken Lehrinhalte und ihr gegenkulturelles Campusleben. Der Wald, den Student*innen der 68er-Bewegung auf dem Campus angelegt haben, ist das Herzstück der Universität – und einer der letzten grünen Orte in Ankara.
Seit dem 15. Mai schützten die Studierenden dort Bäume, die jetzt gefällt werden sollen. Das Studierendenwerk plant, auf dem Gelände ein neues Wohnheim zu bauen. Die bewaldete Fläche wird zwar seit September 2018 vom Rektorat an das Studierendenwerk vermietet, doch die Behörde hat kein Mitspracherecht bei den Wohnheimen der ODTÜ.
Es heißt, die Behörde plane, den städtischen Wohnheimkomplex in Eigentumswohnungen umzuwandeln und Studierende anderer Ankaraner Universitäten auf dem ODTÜ-Campus unterzubringen. Die ODTÜ-Student*innen befürchten, dass sich das Profil des Campus verändert, wenn vermehrt konservative Studierende dort wohnen. Um zu verstehen, warum die Bäume auf dem Campus von solch großer Bedeutung für die Student*innen sind, lohnt ein Blick in die Geschichte der ODTÜ.
Die ODTÜ war 1956 als amerikanische Universität gegründet worden. In Ankara, der Hauptstadt des NATO-Mitglieds Türkei, sollte eine Amerika-freundliche technische Universität aufgebaut werden, um hier eine anti-sowjetische Elite heranzuziehen. Hier sollten junge Menschen aus dem gesamten Nahen Osten zu pro-amerikanischen Ingenieuren ausgebildet werden, um anschließend in ihre Länder zurückzukehren.
In den sechziger Jahren wurde die Universität, ganz im Gegensatz zu ihrem Gründungszweck, zum Zentrum sozialistischer Jugendbewegungen. Im ganzen Land gingen 1968 Jugendliche gegen die Stationierung der sechsten US-Flotte in Istanbul auf die Straße. Als 1969 das Auto des US-Botschafters Kommer, bekannt unter dem Beinamen „Schlächter von Vietnam“, vor dem Rektorat der ODTÜ abgefackelt wurde, erreichten die Jugendproteste eine neue Dimension.
In dieser Zeit forsteten Studierende das steppenartige ODTÜ-Gelände auf. Seither hat der Wald auf dem Campus eine hohe Bedeutung für die Student*innen. Hier organisierten die Studentenführer Deniz Gezmiş, Yusuf Aslan und Hüseyin İnan ihren militanten Widerstand. Ihre Hinrichtung im Jahr 1972 versetzte der 68er Bewegung einen harten Schlag. Die nachfolgende Generation fand in Gezmiş, Aslan und İnan ihre Ikonen.
Um den Aufstieg der Studierendenbewegung zu stoppen, ernannte die Regierung 1977 das MHP-Mitglied Hasan Tan zum Rektor. Tan stellte rechtsextremistische Aktivisten als Bauarbeiter ein, die linke ODTÜ-Student*innen attackierten. Die Gewalt auf dem Campus eskalierte, als bei einem Studierendenprotest vor dem Rektorat im Dezember 1977 eine Bombe explodierte und auf die Studierenden geschossen wurde. Mehr als 50 Studierende wurden verletzt, ein Student starb.
Noch am gleichen Tag ermordete die Gendarmerie auf dem Campus den Vorsitzenden der ODTÜ-Studierenden-Vertretung, Ertuğrul Karakaya. Daraufhin trat die Studentenbewegung in einen neunmonatigen Streik und verlangte, dass Hasan Tan als Rektor zurücktritt. Der Streik endete 1978 mit der Entlassung des Rektors.
Heute protestieren die ODTÜ-Student*innen mit dem gleichen Slogan wie vor 40 Jahren gegen den derzeitigen Rektor Verşan Kök, der direkt von Staatspräsident Erdoğan ernannt wurde. Wie damals wehren sich die Studierenden gegen die Gefahr, dass Polizei und rechte Aktivisten auf den Campus geholt werden – diesmal unter dem Vorwand des geplanten Wohnheimneubaus. Heute kämpfen Studierende gemeinsam mit Alumn*ae, Angestellten und Lehrpersonal der ODTÜ für den Erhalt von universitären Freiräumen.
Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe